Orangenmond
hinter einem Tor zu sehen war. Vor Jahren war Eva mit Milena einmal hier gewesen. Helgas Bruder Kurt war ein kleiner, verspielter Junge im Körper eines leicht untersetzten älteren Mannes. Das Haus und die Gästezimmer waren sehr gemütlich, in der imposanten Küche im Souterrain waren noch die Drähte der Dienstbotenklingeln an der Decke zu sehen.
»Könnte er ja auch mal verkaufen, den alten Kasten«, sagte Helga, »aber nein, da hockt er drin wie eine Spinne im Netz, und unsereins muss dann Urlaub hier machen, weil das Geld angeblich knapp ist … Na, und warum ist das Tor zu? Igelt der sich jetzt völlig ein?«
»Onkel Kurt und sein Rasenmäher sind cool!«, sagte Emil. Georg schaute sich zu Eva um, ihre Blicke verhakten sich sekundenlang. Morgen sind wir hier weg, sollte das wahrscheinlich heißen. Und dann sind wir alleine, antwortete Eva ihm stumm und schämte sich einen Moment lang für das aufwallende Kribbeln in ihrem Bauch, das prompt weiter nach unten zog.
Sie hielten, Emil sprang heraus und klingelte. Eine halbe Minute verging, das Tor rührte sich nicht.
»Er wird es vergessen haben«, muffelte Helga gegen die Seitenscheibe.
»Kurti vergisst so etwas nicht! Du hast uns doch angekündigt?«
Helga zuckte mit den Schultern. Sie warteten. Emil lehnte sich an das grünspanige Metall des Tores, hopste daran hoch, guckte sich um, ob sie auch lachten.
»Emil, pass auf, vielleicht geht das Tor doch gleich auf und klemmt dich ein!«, rief Georg. Sofort trat der Junge zwei Schritte zurück.
»Wo kann er denn sein? Das sieht ihm gar nicht ähnlich. Ruf ihn bitte mal an, Helga«, sagte Georg und reichte ihr sein Handy. Helga brummte etwas vor sich hin, stieg aber aus, das Handy am Ohr.
»Hast du Angst, dass Emil hier etwas zustößt?«, fragte Eva leise.
»Ja, ja, ich weiß, ich bin schrecklich ängstlich!«
»Ach komm, ich verstehe das doch, das würde jeder andere auch sein, der so was erlebt hat.«
»Wenn er mit Helga alleine hier wäre, hätte ich allerdings Angst! Immer ist irgendetwas passiert, wenn sie auf ihn aufpassen sollte, immer! Wenn ich da nur an die Sache mit der Badewanne und der Glasabtrennung denke, wird mir heute noch schlecht!«
»O Gott, ja«, sagte Eva, »und du warst für dieses Anglerkochbuch in Norwegen und hast so schnell keinen Flug bekommen.«
»Dass du dich daran noch so genau erinnerst …? Als ich endlich zurück war, war er schon wieder aus dem Krankenhaus.«
»Milena war ja innerhalb von zwei Stunden aus Barcelona gekommen! Sie kannte einen Piloten von der deutschen Luftrettung.«
»Sie kannte ziemlich viele Leute, das ist mir jetzt auch klar …« Georg nickte gedankenverloren vor sich hin, fing sich dann aber: »Meine Güte, was für ein Horror! Irgendwann haben wir es dann kapiert und ihn nicht mehr bei ihr gelassen. Bei Onkel Kurt mache ich mir keine Gedanken. Der kocht nicht nur genial, sondern kümmert sich auch sehr gut um Emil. Er lässt ihn auf dem Flügel klimpern, geht mit ihm ins Museum oder gibt ihm irgendwelche Sach bücher zu lesen. Zwei, die sich glücklich über ihre Bücher hinweg anschweigen!«
Sie schwiegen auch, Georg seufzte und trommelte auf das Lenkrad. »Warum musste Jannis ausgerechnet gestern nach Forlì zu Anna fliegen? Sie ist hochschwanger, es geht ihr wohl nicht so gut. Wäre zu schön gewesen, ihn gleich hier in München ausfragen zu können, normalerweise ar beitet er um die Ecke, in Laim, für Tibor Sztana. Ein ganz netter Typ, dieser Tibor, ich habe ihn bei einem Dreh in Prag kennengelernt. Ein Ungar, der zu den absoluten Stars der deutschen Filmlandschaft gehört. Seine Special Effects sind legendär. Er macht Außerirdische. Die tollsten Wunden. Verfaulte Zähne, Tote, alles. Tibor scheint viel von Jannis zu halten! Er schickt ihn sogar an seiner Stelle zu einem Job in die Cinecittà. Nach seinem Besuch bei Anna fliegt Jannis weiter nach Rom.«
Eva stieg aus, sie wollte nicht über Jannis sprechen. »Vermisst du deine Arbeit als Requisiteur nicht manchmal?«, fragte sie durch Georgs heruntergekurbeltes Fenster, während sie ein paar Dehnübungen machte und ihre Stirn der Abendsonne entgegenstreckte. Georg stieß die Luft aus. »Ab solut nicht!« Er schaute auf seine Armbanduhr und stellte den Motor ab. »Wo ist der gute Kurti denn?«, murmelte er. »Nein«, sagte er dann laut, »ich war zwar lange Zeit froh, da über einen Fahrerjob so reingerutscht zu sein. Habe mich ja auch wirklich schnell hochgearbeitet, aber auf Dauer war
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