Orangenmond
Titel von Emils CDs, die in einem Haufen zwischen ihnen lagen. »Wie funktioniert Re ligion?« »Das Mittelalter«. »Der menschliche Körper«. Das half. Es ging um Entspannung. Sie hatte Urlaub und würde die nächsten Tage mit dem Mann verbringen, den sie verdammt noch mal immer noch liebte!
Nach den drei dringenden Fällen und dem gelösten T-Shirt-Fall war ein paar Tage gar nichts mehr passiert, sodass sie schon begonnen hatte, sich so spannenden Delikten wie Kelleraufbrüchen, Pfandflaschendiebstählen und Sachbeschädigung an Telefonzellen zu widmen. Chefin Ulla hatte ihren Urlaub mit einem unleserlichen Kritzler als Unterschrift und dem begleitenden Kommentar »Wir kommen hier auch mal ohne dich klar!« bewilligt.
Dann, drei Tage vor ihrem geplanten Urlaubsantritt, wurde eine junge Frau erstochen, als sie nach dem Einkauf von Zwergkaninchenfutter und einer Tüte Heu alleine zu ihrem Auto in einer Tiefgarage ging. Der eifersüchtige Ehemann, von dem sie seit Kurzem getrennt lebte, stand zwar sofort unter Verdacht, man konnte ihm aber nichts nachweisen. Die Sonderkommission »Heuhaufen« kam zusammen, arbeitete Tag und Nacht. Es gab keine Zeugen, niemand hatte etwas gesehen, und ausgerechnet auf dem betreffenden Parkdeck der Tiefgarage war zu diesem Zeitpunkt die Video überwachung ausgefallen.
Eva hatte sich, wie immer bei Mordfällen, das ganze Dos sier geben lassen, um eine bessere Vorstellung davon zu bekommen, wonach sie noch suchen konnten. »Nina K.« stand auf dem anonymisierten Deckblatt des Vorgangs, zu dem sie mit ihren fünfunddreißig Jahren nun auf so tragische Weise geworden war.
In der Abteilung für DNA-Analysen waren ausschließlich Frauen beschäftigt, sie machten gern Witze übereinander, manchmal gab es bissige Worte und immer genüsslich ausgewälzten Gossip in der Kaffeeküche. Doch an diesen Tagen ging es leiser zu. Sie waren zwar vieles gewohnt, aber sie waren nicht herzlos. Schließlich könnte es jede von ihnen schon morgen genauso treffen.
Die Kripo hatte einen Mantrailing-Hund zum Tatort geholt. Eva wusste, dass diese Hunde noch Tage nach der Tat den Geruch einer Person aufnehmen und den Weg verfolgen können, selbst auf dem Betonboden eines Parkhauses. Die Geruchsspur, die der Hund aufnahm, führte zur Haltestelle Barmbek. Doch auch die Auswertung der dortigen Überwachungskameras ergab nicht viel. Berufsverkehr, Hun derte von Männern waren unterwegs, und vielleicht war der Täter ja doch eine kräftige Frau?
Man hatte in einem U-Bahn-Wagen eine Aufnahme von einem sitzenden Mann herausgefiltert, der beharrlich nach unten schaute und etwas zwischen seinen Fingern zusammen drückte. Wahrscheinlich seinen Fahrschein. Die Qualität der Aufnahme war sehr schlecht, aber Statur und Größe stimmten mit der des Ehemanns überein. Daraufhin wurde der Inhalt sämtlicher Mülleimer, die sich an der folgenden Haltestelle Habichtstraße und der Endhaltestelle Wandsbek-Gartenstadt befanden, von der Spurensicherung eingesammelt.
Chefin Ulla, die bei weniger schwerwiegenden Fällen schon mal gern verkündete, dass nach Betrachtung der Sach- und Spurenlage und allen vorliegenden Erfahrungen mit einem Untersuchungserfolg nicht zu rechnen sei, ließ Sonderschichten einlegen. Auf mehreren Rollwagen wurden große Asservatentüten in die Abteilung gebracht, die den Inhalt sämtlicher Mülleimer vom Bahnsteig und der näheren Umgebung enthielten. Tickets, Schnipsel, Papier aller Art, katalogisiert, mit Nummern versehen. Ein Teil davon war nass, von Tabakkrümeln verklebt, stinkender Müll, der alltägliche Bodensatz der Großstadt. Sie notierten Verpackungsbeschriftungen, fotografierten, wischten einen verdreckten Papierschnipsel nach dem anderen mit Stabtupfern ab, extra hierten davon DNA, warteten auf Konzentrationsbestimmungen, setzten PCRs an, beluden Sequenzer in Doppelläufen, checkten Positiv- und Negativkontrollen und werteten schließlich die zahllosen STR-Elektropherogramme aus.
Keine der Spuren stimmte mit der DNA des Exmanns überein, die dieser kühl lächelnd tatsächlich freiwillig in Form einer Speichelprobe abgegeben hatte.
Ulla hatte Eva am Ende sogar in ihr Zimmer beordert und sie gebeten, ihren Urlaub zu verschieben.
»Eine Woche, Eva, was ist das schon? Du siehst ja, was hier los ist. Ohne dich wäre es … Na, du bist eben ganz anders organisiert als der Rest!« Das sollte wohl ein Kompliment sein.
Eva hatte kurz überlegt, und eine Woge schlechten Gewissens war in ihr
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