Orangenmond
wollen wir bleiben? Ich habe die drei Zimmer nur für eine Nacht gebucht.«
»Pscht!« Georg gab dem Karussell einen leichten Schubs, das Kreuz der Metallstangen mit den vier Sitzen begann sich zu drehen. Eva schaute nach oben, zwischen den Baumkronen, weit über ihr, drehten sich Tausende von Sternen in der Runde, viel heller und klarer als über ihrem kleinen Balkon in Deutschland. »Hör auf, dir Sorgen zu machen. Ist doch wunderschön hier!«
Eva gab Georg im Stillen recht. Sie konnte das ewige Planen einfach nicht lassen, dabei fühlte sie sich doch gerade herrlich faul, und ihr Hintern klemmte angenehm in dem Karussellsitz. »Bleiben wir denn noch eine Nacht?«
»Relax! Das entscheiden wir morgen früh!« Er atmete tief ein: »Die Luft ist so frisch und doch noch warm.«
Eva ließ ihre nackten Fußsohlen über den weichen Untergrund aus Kiefernnadeln gleiten: »Und dieser Geruch!«
»Was meinst du genau, dieses Gemisch aus Lavendel, Kiefernharz und der kleinen Prise Schweinezucht?«
»Die Schweinezucht ist mir bis jetzt noch gar nicht aufgefallen. Schläft Emil?«
»Die Schweinezucht liegt unten in der Ebene. Ist hier alles voll davon. Wusstest du, dass die Schweine nur die Molke von Parmesankäse zu fressen bekommen dürfen, wenn aus ihnen ein echter Prosciutto di Parma werden soll?«
»Nein.« Evas Mundwinkel zogen sich nach oben. Wenn Georg über Nahrungsmittel reden konnte, war er glücklich.
»Sie kriegen natürlich noch andere Sachen wie Futtergerste, Obst und so was. Das wird alles streng kontrolliert.«
Eva zog ungläubig die Brauen hoch. Streng kontrolliert? In Italien?
»Ob der Schinken reif ist, wird heute immer noch mit einem ausgehöhlten, ganz dünnen Pferdeknochen festgestellt. So einen hätte ich gerne …«
»Du willst immer alles haben, Georg!« Eva prustete los; schon besser, sie war dabei, sich zu entspannen. »Wie auch diese komische Holzrolle, die du Annas Schwiegermutter um ein Haar abgeluchst hättest!«
»Die azdora? Die wollte sie mir schenken!«
»Du ewiger Schwiegermutterliebling!«, zischte Eva.
»Stimmt doch gar nicht, manche haben mich auch gehasst!« Er lachte. »Aber, um deine Frage zu beantworten: Ja. Emil schläft, nachdem wir uns noch lange über die Chamäleons unterhalten haben. Er war besorgt, ob sie merken, dass er weg ist. Helga schläft hoffentlich auch. Also fahren wir jetzt noch einmal los.« Er hob eine Flasche hoch. Eva konnte in dem spärlichen Laternenlicht, das durch die Bäume vom Palazzo zu ihnen herüberschimmerte, nicht erkennen, was es war. Rotwein?
»Wohin?«
»Ins Krankenhaus!«
»Da kommen wir doch jetzt nicht mehr rein, es ist halb eins!«
»Wir rufen Jannis an, der soll rauskommen. Raus werden sie ihn ja wohl lassen. Dann setzen wir ihn unter Alkohol und fragen ihn noch mal richtig aus. Der weiß nämlich was, wollte es heute nur nicht sagen. Hast du das nicht gemerkt?«
»Doch.«
»Na, sag ich ja! Er ist unsere einzige Chance. Außerdem bin ich überhaupt nicht müde, ich habe heute den ganzen Nachmittag verpennt. Du doch auch!«
»Bin trotzdem irgendwie schlapp.«
Er zuckte mit den Schultern und schaute Eva mit seinem unnachahmlichen Blick an: » Allora . Was ist jetzt?«
»Georg?«
»Ja?«
»Du bist total besessen.«
»Ich weiß. Andiamo! «
Der Mond war an diesem Abend ein asymmetrisches Ei, sein Licht verdrängte das der Sterne rundherum. In den Kiefern sägte nur noch eine einzige Grille, die aber völlig ausreichte, um ihrem Zusammentreffen das mediterrane Flair zu verleihen.
»Also, was sagst du, Jannis? Der Regisseur? Reza?«
»Reza!«
»Konrad? Der Kameramann?«
»Aber so was von …!«
»Wer noch?«
»Da war dieser Typ, der sie besucht hat.«
»Dieser Typ?«
»Na, der in der ersten Woche da war, so ein Lustiger, der extra aus irgendeinem Kaff angefahren kam.« Jannis nahm einen Schluck aus der Flasche. Eva nahm sie ihm ab und reichte sie lächelnd an Georg weiter:
»Es ist illegal, einen Betrunkenen zu verhören.«
»Auch wenn der Betrunkene grinsend auf einem Karussell sitzt, das sich nicht dreht?«
Sie hatten Jannis ohne Mühe aus dem Krankenhaus gelockt und waren mit ihm wieder zum Hotel zurückgefahren. Annas Kind war immer noch nicht da.
»Es tut mir leid, Georg«, sagte Jannis mit heiserer Stimme, als hätte er den ganzen Abend jemanden angefeuert, »das hört sich furchtbar an, als ob sie es an jeder Ecke und mit jedem Kerl … Aber sie kannte dich ja zu dem Zeitpunkt noch gar nicht.«
»Nein«,
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