Orchideenhaus
er fest, dass er gar nicht so unglücklich darüber war, hin und wieder Denguefieberanfälle erleiden zu müssen, wenn Lidia Krankenschwester für ihn spielte.
In den folgenden Tagen schlief Harry viel und aß alles, was man ihm brachte. In den Wachphasen dachte er an Lidia. Sie besuchte ihn, so oft sie konnte, erfreut darüber, dass er auf dem Weg der Besserung war.
Jeden Tag erschien sie ihm schöner.
Harry begann, auf ihre Besuche hinzufiebern, malte sich aus, wie er sie zu sich herwinkte, ihren zierlichen Körper in die Arme schloss, ihre wunderschön geformten Lippen küsste und seine Zunge über ihre kleinen, perlweißen Zähne gleiten ließ … In rationaleren Momenten versuchte er, sich einzureden, dass sie nur deshalb eine so starke Wirkung auf ihn ausübte, weil er lange nicht mehr die Gesellschaft einer Frau genossen hatte. Andererseits konnte er sich nicht erinnern, je für eine ihrer Geschlechtsgenossinnen ähnliche Gefühle gehegt zu haben.
Er wusste fast nichts über ihr Leben. Trotzdem schien er sie schon lange zu kennen. Sie war freundlich und klug und besaß Sinn für Humor. Wie sie sich trotz ihres begrenzten Wortschatzes im Englischen verständlich machen konnte, beeindruckte ihn. Harry, gewöhnt an die Rätselhaftigkeit englischer Mädchen, die die Sprache perfekt beherrschten, fand es erfrischend, dass Lidia nicht lange um den heißen Brei herumredete.
Und ihre Schönheit … Harry war körperlich nie leicht erregbar gewesen, am allerwenigstens durch bloße Phantasie. Doch jetzt führte schon der Gedanke an sie zu einer Erektion. Er deutete es als gutes Zeichen, dass nach den physischen und psychischen Qualen von Changi alle seine Körperteile noch funktionierten und eine Frau seinen Zweifeln zum Trotz eine so starke körperliche Reaktion bei ihm hervorrufen konnte – ganz anders als Olivia.
Seine Frau …
Harry musste daran denken, wie seine Mitgefangenen in Changi über Leidenschaft und Liebe gesprochen hatten …
War es das, was er für Lidia empfand? Liebe ?
Am vierten Tag seiner Bettlägerigkeit, an dem Lidia nicht wie üblich den Kopf hereingestreckt hatte, um nachzusehen, wie es ihm ging, wagte Harry sich bei Sonnenuntergang aus seinem Zimmer. Er schlenderte durchs Foyer zur Bamboo Bar und an der Rezeption vorbei.
»Fühlen Sie sich besser?«, erkundigte sich Giselle.
»Ja, deutlich, danke. Wo ist Lidia?«
»Sie hat einen Tag frei genommen«, antwortete Giselle. »Familienprobleme, soweit ich weiß.«
»Aber es geht ihr gut, oder?«
»Ich weiß es nicht, Hauptmann Crawford. Ich bin nur ihre Arbeitgeberin, nicht ihre Mutter, auch wenn ich sie mag. Sie führt ein schwieriges Leben.«
Verwirrt machte Harry sich auf den Weg zur Bamboo Bar, die erst eine Stunde später öffnen sollte und noch menschenleer war. Dort setzte er sich ans Klavier, hob den Deckel und begann zu spielen.
Bald gesellten sich die anderen Musiker und der Barkeeper zu ihm.
»Wo warst du denn?«, erkundigte sich Yogi, der niederländische Schlagzeuger. »Wir brauchen dich.«
»Ich war krank.«
»Machst du heute Abend wieder mit?«, fragte Yogi.
Harry nickte. Vielleicht half ihm das, ihn von seinen Gedanken an Lidia abzulenken.
Harry spielte bis Mitternacht und trank jede Menge Wasser, während man den Gästen allmählich den Whisky anmerkte. Zwei beschwipste Frauen mittleren Alters machten ihm Avancen und erboten sich, ihm die Sehenswürdigkeiten von Bangkok zu zeigen, wenn er nackt für sie spielen würde. Harry amüsierte sich prächtig über diesen absurden Scherz, denn er war nach wie vor klapperdürr, hatte einen Reisbauch und aufgrund seines Vitaminmangels eine schuppige Haut.
Als er am folgenden Morgen erwachte, galt sein erster Gedanke Lidia. Ob sie ihn wieder besuchen würde? Er stand auf und ging zum Frühstück hinunter auf die Veranda. An der Rezeption entdeckte er sie nicht.
Die Stunden zogen sich dahin, lediglich unterbrochen vom Besuch des Schneiders, der ihm seine neue Kleidung anpassen wollte und leise vor sich hin fluchte, weil er den Bund der Hose wegen Harrys schrumpfendem Reisbauch ändern musste.
Harry durchquerte das Foyer mehrfach, um nach Lidia zu suchen. Beim dritten Mal trat Giselle zu ihm und schüttelte den Kopf. »Heute ist sie auch nicht da. Ich kann nur hoffen, dass sie nicht das Gleiche macht wie viele der Einheimischen hier und einfach nicht mehr auftaucht.«
Harry bekam ein flaues Gefühl im Magen. Er kehrte auf sein Zimmer zurück, legte sich
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