Orchideenhaus
aufs Bett und versuchte zu
dösen. Nach einer Weile gab er auf und fing an, im Raum auf und ab zu gehen. Hatte Giselle Lidias Adresse?, fragte er sich. Wenn sie am folgenden Tag nicht erschien, würde er sich auf die Suche nach ihr begeben.
»Mach dich nicht lächerlich!«, schalt er sich laut. »Du bist nur einer von vielen Gästen. Es schickt sich nicht, in Bangkok nach Mädchen zu fahnden, die du kaum kennst!« Trotzdem konnte Harry an nichts anderes denken. Den Rest des Tages verbrachte er in höchster Anspannung und malte sich all die grässlichen Dinge aus, die ihr zugestoßen sein konnten. Noch um drei Uhr morgens lag er schlaflos in seinem Bett, und allmählich wurde ihm klar, dass dies mehr war als eine Schwärmerei.
Er liebte sie.
Die Erleichterung darüber, dass Lidia am nächsten Morgen wieder an der Rezeption saß, war ihm deutlich anzusehen. Es kostete ihn Mühe, nicht zu ihr zu laufen und sie in die Arme zu schließen.
»Lidia, Sie sind zurück! Alles in Ordnung?«
»Ja, Harry.« Ihre Augen wirkten dunkler als sonst, und ihre Stimmung war gedämpft.
Er musterte sie. »Sicher?«
»Ja.«
»Gut, das freut mich.«
Wieder marschierte Harry in seinem Zimmer auf und ab, beunruhigt über seine innere Unruhe.
Vor Lidias unerwartetem Verschwinden hatte er sich gut gefühlt. Die Panik über ihre Abwesenheit machte ihm Angst. Wie konnte er eine Frau lieben, die er kaum kannte?
Unfähig, länger in seinem Zimmer zu bleiben, schlenderte
Harry über die Veranda zum Fluss hinunter. Dort zündete er sich eine Zigarette an und dachte an Sebastian, der sich wohl schon auf hoher See befand. Wie sehr er es sich gewünscht hätte, ihn zu begleiten! Sein emotionaler Aufruhr wegen Lidia würde zu nichts führen. Er war Hauptmann der britischen Armee, Adliger, Erbe eines riesigen Anwesens …
Und verheiratet.
Harry warf die Kippe in den Fluss, wo sie sich in den vorbeitreibenden Pflanzen verfing. Vielleicht hatte das Denguefieber sein Gehirn angegriffen … oder die Zeit in Changi. Weswegen er sein Herz an die erstbeste Frau verlor, die ihm Trost spendete.
Harry kehrte zum Hotel zurück und marschierte entschlossen ins Foyer, um eine Schiffspassage nach Hause zu buchen.
Als er Lidia an der Rezeption entdeckte, versuchte er heroisch, ihr keine Beachtung zu schenken. Doch aus den Augenwinkeln nahm er wahr, wie sie ein Taschentuch aus einem kleinen Korb holte und sich eine Träne wegwischte.
Sofort wandte er sich ihr zu und fragte mit leiser Stimme: »Lidia, stimmt etwas nicht?«
Sie schüttelte stumm den Kopf.
»Was ist passiert?«
»Bitte, Harry«, sagte sie in panischem Tonfall. »Lassen Sie mich. Keine Aufmerksamkeit. Madame ist nicht glücklich, wenn sie mich so sieht an Rezeption.«
»Verstehe. Ich gehe, aber nur, wenn Sie mir versprechen, sich in Ihrer Mittagspause außerhalb des Hotels mit mir zu treffen. Ich warte am Ende der Straße, an der kleinen Garküche an der Ecke.«
Sie hob den Blick. »Ach, Harry, Madame …«
»Ich sorge dafür, dass wir nicht beobachtet werden. Sagen Sie ja, dann lasse ich Sie in Ruhe.«
»Wir treffen uns Mittag an Garküche.«
»Abgemacht.« Dass er das Foyer betreten hatte, um eine Schiffspassage zu buchen, war ihm völlig entfallen.
Lidia erwartete ihn wie verabredet an der Ecke.
»Ich kenne Ort, wo wir hinkönnen«, sagte sie, gab ihm ein Zeichen, ihr zu folgen, und entfernte sich schnellen Schrittes auf der belebten Straße. Nach einigen Minuten bog sie in eine schmale Gasse ein, in der es von Karren mit allerlei Essbarem wimmelte. Sie ging bis etwa zur Mitte, wo sie auf eine grobe Holzbank deutete, die durch einen zerfransten Schirm vor der Sonne geschützt war.
»Wollen Sie etwas essen?«, fragte Lidia.
Der Geruch von Abwässern, der sich in der engen Gasse mit dem von brutzelndem Fleisch vermischte, verursachte Harry ein Gefühl der Übelkeit. »Lieber nur ein Bier, falls es das hier gibt, danke.«
Lidia bestellte etwas in schnellem Thai, und schon bekamen sie ein Bier und ein Glas Wasser.
Harry versuchte, sich mehr auf Lidia als auf die stickige, klaustrophobische Atmosphäre zu konzentrieren. Als er spürte, wie ihm Schweiß auf die Stirn trat, öffnete er seine Bierdose und nahm einen großen Schluck.
»Lidia, würden Sie mir bitte verraten, warum Sie heute Morgen geweint haben?«
Lidia bedachte ihn mit einem traurigen Blick. »Es gibt ein sehr schwieriges Problem zu Hause.«
»Ich habe so viele Männer sterben sehen, da werde ich mit
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