Orchideenhaus
nicht möchte? «
Harry drückte seine Zigarette in einem Aschenbecher aus. »Ich habe den Eindruck, dass die meisten von uns nicht das bekommen, was sie wollen. Aber versuchen Sie, es sich nicht zu sehr zu Herzen zu nehmen. Ich glaube, es wird Veränderungen geben, besonders für Frauen. Der vielleicht einzige Vorteil eines Krieges ist, dass sich dadurch der Status quo ändert.«
»Das kann ich nur hoffen«, pflichtete Olivia ihm bei. »Und was ist mit Ihnen?«, erkundigte sie sich, als sie sich plötzlich an die goldene Regel erinnerte, die allen Mädchen von Kindesbeinen an eingebläut wurde: Als Frau durfte man das Gespräch mit einem Gentleman niemals beherrschen.
»Ich?« Harry zuckte mit den Achseln. »Ich bin Soldat, im Moment auf Heimaturlaub, aber nicht mehr lange, fürchte ich. Wir haben soeben Order erhalten, die Zahl der Männer in meinem neuen Bataillon zu verdoppeln, über die bürgerwehrähnliche Territorial Army.«
»Ich begreife nicht, dass das Leben hier weitergehen kann wie gewohnt.« Olivia ließ den Blick über die anderen Anwesenden schweifen, die sich prächtig amüsierten.
»Das ist wohl der britische Geist«, meinte Harry. »Die Welt mag untergehen, aber in Häusern wie diesem bleibt
alles beim Alten. In gewisser Hinsicht danke ich Gott sogar dafür.«
»Liebe Gäste, das Abendessen ist angerichtet.«
»Miss Drew-Norris«, sagte Harry, »es war mir ein Vergnügen. Passen Sie übrigens auf: Es könnten Schrotkugeln im Fasan sein. Die Köchin ist manchmal ein bisschen nachlässig.« Er zwinkerte ihr zu. »Vielleicht haben wir vor Ihrer Abreise noch einmal Gelegenheit, miteinander zu sprechen.«
Olivia verbrachte den Abend damit, über Lord Crawfords grässliche Witze zu lachen und sich wie eine junge Dame zu benehmen. Hin und wieder riskierte sie einen Blick ans andere Ende des Tisches, wo Harry ebenfalls seine Pflicht tat und die Frau des Majors unterhielt. Als die Männer sich in die Bibliothek zurückzogen und die Frauen zum Kaffee in den Salon schlenderten, gab Olivia vor, müde zu sein, und entfernte sich.
An der Treppe tauchte Adrienne neben ihr auf. » Ma chérie , sind Sie krank?«, fragte sie besorgt.
Olivia schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe nur Kopfschmerzen. «
Adrienne legte lächelnd die Hände auf ihre Schultern. »Das kalte englische Wetter hat Ihre tropischen Knochen erzittern lassen. Ich werde Elsie bitten, Ihr Zimmer noch einmal zu heizen und Ihnen eine heiße Schokolade zu bringen.Wir sehen uns dann morgen, n’est-ce pas ? Vielleicht möchten Sie ja einen Spaziergang im Garten mit mir machen. Ich könnte Ihnen etwas zeigen, das Sie an die Heimat erinnert.«
Olivia nickte, gerührt über Adriennes aufrichtige Sorge. »Danke.«
» Je vous en prie. Sie haben das Gespräch mit meinem Sohn Harry genossen?«, erkundigte sie sich.
»Ja, sehr, danke.« Olivia, die spürte, wie sie rot wurde, konnte nur hoffen, dass Adrienne das nicht bemerkte.
Adrienne nickte. »Wusste ich es doch. Bonne nuit, ma chérie .«
Olivia stieg müde die Stufen empor. Sie hatte tatsächlich Kopfschmerzen, wahrscheinlich weil sie keinen Alkohol gewöhnt war. Und sie brauchte Zeit für sich, um über ihre Begegnung mit Harry nachdenken zu können.
In ihrem Zimmer angekommen, schlüpfte sie blitzschnell in ihr Nachthemd, eine Kunst, die sie seit ihrer Ankunft im kalten England perfektioniert hatte. Kaum lag sie im Bett, klopfte es an der Tür.
»Herein.«
Elsie hielt ein Tablett mit einer großen Tasse heißer Schokolade in der Hand. »Ich bin’s nur, Miss Olivia.« Elsie durchquerte das Zimmer und stellte das Tablett auf das Nachttischchen neben Olivia. »Nach dem Rezept meiner Ma«, erklärte sie lächelnd. »Mit einem Schuss Brandy gegen die Kälte.«
»Danke, Elsie.« Olivia wölbte die Hände um die warme Tasse, während sie Elsie zusah, wie sie das Feuer im Kamin neu entfachte.
»Hatten Sie einen schönen Abend, Miss Olivia?«
»O ja, Elsie.« Sie lächelte.
Als Elsie, die sich vom Kamin abwandte, ihr Lächeln bemerkte, begannen ihre Augen zu blitzen. »Und haben Sie Master Harry kennengelernt?«
»Ja.«
»Wie finden Sie ihn?«
Eine weitere goldene Regel, das wusste Olivia, lautete, Bediensteten niemals Geheimnisse anzuvertrauen, am allerwenigsten dann, wenn es sich nicht um das eigene Personal handelte, doch die Versuchung, über Harry zu sprechen, war einfach zu groß.
»Ich halte ihn für … einen sehr ungewöhnlichen Mann.«
»Finden Sie ihn so attraktiv,
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