Orchideenhaus
wie ich gesagt habe?«, fragte Elsie.
Als sie keine Antwort bekam, senkte Elsie den Blick. »Entschuldigung, Miss, ich vergesse mich selbst; ich darf keine persönlichen Fragen stellen.«
»Elsie, du machst deine Arbeit sehr gut«, versicherte Olivia ihr. »Nach dem morgigen Tag werden wir uns vermutlich nie mehr wiedersehen. Und« – sie holte tief Luft – »willst du die Wahrheit hören? Harry ist … ein Schatz!«
Elsie klatschte begeistert in die Hände. »Ach, Miss Olivia! Wusst ich’s doch! Mir war klar, dass Sie einander mögen würden.«
Olivia nahm einen Schluck heiße Schokolade. »Elsie, das ist der beste Kakao, den ich je getrunken habe.«
Elsie bedankte sich und entfernte sich. »Ich komme morgen früh wieder, die Vorhänge aufziehen. Gute Nacht.«
Als Elsie gegangen war, lehnte Olivia sich in die weichen Kissen zurück, nippte an der heißen Schokolade und ließ ihre Unterhaltung mit Harry noch einmal vor ihrem geistigen Auge Revue passieren.
11
Am folgenden Morgen nahm Olivia das Frühstück allein ein, weil die Jagdgesellschaft zeitig aufgebrochen war und sowohl ihre Mutter als auch Adrienne in ihren jeweiligen Räumen frühstückten. Anschließend begab sie sich in die Bibliothek. Bücher waren in Poona etwas Wertvolles und Seltenes gewesen, weswegen die Fülle der Bände in den vom Fußboden bis zur Decke reichenden Regalen Olivia überwältigte.
Sie holte Virginia Woolfs Die Fahrt zum Leuchtturm heraus und setzte sich zum Lesen in einen bequemen Ledersessel am Kamin.
Nach einer Weile hörte sie Klaviermusik und erkannte Chopins Polonaise in As-Dur. Sie stand auf, verließ, geleitet von der Musik, die Bibliothek und gelangte so zum Salon.
Dort blieb sie stehen, um mit geschlossenen Augen der herrlichen Interpretation eines ihrer Lieblingsstücke zu lauschen. Als die letzten Töne verklangen, spähte sie um eine hohe chinesische Vase, die den Blick auf den Pianisten verstellte.
Olivia stockte der Atem: Es war Harry. Obwohl sie sich wie ein Störenfried vorkam, beobachtete sie ihn, wie er, die Hände im Schoß, durchs Fenster auf den Park starrte. Als er sich erhob, entdeckte er sie.
»Gütiger Himmel, Miss Drew-Norris! Ich habe Sie gar nicht bemerkt.« Er gesellte sich verlegen, die Hände in den Hosentaschen, zu ihr.
»Ich war in der Bibliothek, habe die Musik gehört und« – sie zuckte mit den Achseln – »bin ihr gefolgt.«
»Sie mögen klassische Musik?«
»Ja, sehr. Besonders wenn sie so gespielt wird wie eben von Ihnen. Sie sind ausgesprochen gut«, sagte Olivia errötend. »Wo haben Sie das gelernt?«
»Zu Hause, von einem Klavierlehrer, und in der Schule habe ich weitergemacht. Aber ähnlich wie bei Ihnen die akademischen Studien werden diese Tasten wohl keinen Einfluss auf meine Zukunft haben. Leider«, fügte er hinzu.
»Aber das sollten sie. Sie spielen so, wie ich es auf Platten in Indien gehört habe.«
»Danke für das Kompliment.« Er sah kurz aus dem Fenster,
bevor er fragte: »Hätten Sie Lust auf einen Spaziergang? Heute scheint die Sonne sich durch die Wolken gekämpft zu haben.«
»Eigentlich sollte ich mit Ihrer Mutter spazieren gehen, doch die habe ich bisher noch nicht gesehen.«
»Das werden Sie wahrscheinlich auch nicht. Bestimmt liegt sie mit Migräne im Bett. Sie leidet schrecklich darunter, besonders wenn es spät geworden ist wie gestern Abend. Holen Sie einfach einen Mantel, und dann treffen wir uns in fünf Minuten auf der Terrasse.«
Olivia lief nach oben, um den Mantel anzuziehen, der sich eher für die Stadt als für Ausflüge auf dem Land eignete.
Als sie zurückkam, lehnte Harry bereits am Geländer der Treppe, die zum Garten führte, eine Zigarette in der Hand, und deutete auf einen der Bäume. »Sehen Sie, was darunter wächst? Die ersten Frühlingsboten, Schneeglöckchen.« Er nickte in Richtung Stufen. »Wollen wir?«
Sie liefen die breite Treppe zum Garten hinunter.
»Wie gefällt Ihnen unser Miniatur-Versailles?«, fragte Harry mit einem Blick auf den gepflegten französischen Garten, den eine sorgfältig gestutzte und in Form gebrachte Hecke einfasste. In der Mitte befand sich ein eleganter Springbrunnen mit der Figur eines kleinen Jungen. »Mutter wollte hier etwas schaffen, das sie an ihre Heimat Frankreich erinnert. Ich finde, das ist ihr wunderbar gelungen. Sie sollten die Anlage im Hochsommer sehen, wenn alles in bunten Farben blüht.«
»Ich kann es mir vorstellen.«
»Die Mimosen haben Sie um ein paar Tage verpasst«,
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