Orchideenhaus
beschränkten, die Offiziere mit Cole Porter zu unterhalten. Chopin stand dort nicht auf dem Programm.
Wenn die schwarzen Hunde der Depression über ihn herfielen, hoffte Harry manchmal auf die Wiedergeburt in einer Welt, in der er seine Begabung und Leidenschaft ausleben konnte. Vielleicht, dachte er, brachte der Krieg ihn dieser Wiedergeburt näher.
10
Als Olivia den Salon betrat, hatte sie das ungewohnte, aber nicht unangenehme Gefühl, positiv wahrgenommen zu werden. Lord Crawford begrüßte sie als Erster.
»Olivia, nicht wahr? Wie diese indische Sonne die Knospen doch erblühen lässt. Drink?«
»Ja, gern«, antwortete sie und nahm ein Glas Gin von dem Tablett, das der Butler ihr hinhielt.
»Freut mich sehr, dass Sie heute Abend meine Tischnachbarin sein werden, meine Liebe«, bemerkte Lord Crawford mit einem diskreten Nicken in Richtung Butler, der mit einem ebenso diskreten Nicken antwortete. Spätestens jetzt war Olivia Lord Crawfords Tischnachbarin.
»Nun, wie gefällt Ihnen das gute alte England?«, erkundigte er sich.
»Es ist spannend, das Land zu sehen, von dem ich schon so viel gehört habe«, log Olivia, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Es freut mich sehr, meine Liebe, dass Sie sich die Zeit nehmen, uns hier auf dem Land in Norfolk zu besuchen. Sie haben die Londoner Saison vor sich, sagt Ihr Herr Papa?«
»Ja.« Olivia nickte.
»Gute Sache.« Lord Crawford schmunzelte. »Macht einen Riesenspaß. Darf ich Ihnen meine Frau vorstellen? Heute Nachmittag war sie indisponiert, aber inzwischen scheint sie sich erholt zu haben.« Er führte sie zu einer schlanken, eleganten Dame. »Adrienne, das ist Olivia Drew-Norris, die diese Saison bestimmt genauso vielen jungen Burschen das Herz brechen wird, wie du es vor Jahren getan hast.«
Adrienne, Lady Crawford, wandte sich Olivia zu und reichte ihr die zarte weiße Hand.
» Enchantée «, sagte Adrienne und lächelte ihr anerkennend zu. »Sie scheinen wirklich eine Herzensbrecherin zu sein.«
»Danke, Lady Crawford.« Olivia begann, sich wie eine Kuh zu fühlen, die Preisrichtern zur Begutachtung vorgeführt wurde. Sie hoffte nur, dass das kein Vorgeschmack auf die Londoner Saison war.
»Sagen Sie doch Adrienne zu mir. Wir werden sicher gute Freunde, n’est-ce pas ?«
Lord Crawford bedachte seine Frau mit einem liebevollen Blick. »Schön, schön. Ich überlasse Olivia deinen fähigen Händen, meine Liebe. Vielleicht kannst du ihr ein paar Tipps geben.« Damit wandte er sich anderen Gästen zu.
Olivia bewunderte unterdessen Adriennes Schönheit. Obwohl Anfang vierzig, hatte Adrienne den schlanken Körper eines Mädchens sowie ein fein geschnittenes Gesicht mit hohen Wangenknochen und makellosem, elfenbeinfarbenem Teint. In ihrer Weiblichkeit erinnerte sie Olivia eher an eine zarte indische Mem Sahib als an die durchschnittliche englische Aristokratin, deren Körperbau dazu bestimmt war, dem rauen britischen Wetter zu trotzen und mit Hilfe eines gebärfreudigen Beckens den Familienstammbaum fortzuführen.
Adrienne war so klein und zierlich, dass sie besser in einen Pariser Salon als in ein zugiges englisches Landhaus gepasst hätte. Adrienne stammte tatsächlich aus Frankreich, das wusste Olivia von ihrer Mutter. Und das schlichte schwarze Cocktailkleid sowie die cremefarbene Perlenkette trug sie mit der leichten Eleganz ihres Heimatlandes.
»Tja, Olivia, nun sind Sie also in diesem schrecklichen Land mit dem grässlichen Wetter und dem grauen Himmel, n’estce pas ?«
Olivia war erstaunt über Adriennes Unverblümtheit. »Die
Umstellung fällt mir tatsächlich nicht leicht«, bestätigte sie so diplomatisch wie möglich.
Adrienne legte ihre kleine Hand auf die ihre. » Ma chérie , auch ich bin an einem warmen, sonnigen Ort aufgewachsen. Als ich von unserem château im Süden Frankreichs nach England kam, hatte ich das Gefühl, das nicht ertragen zu können. Ihnen geht es genauso. Wie sehr Indien Ihnen fehlt, ist Ihnen von den Augen abzulesen.«
»Ja«, flüsterte Olivia.
»Ich kann Sie nur damit trösten, dass es mit der Zeit besser wird.« Adrienne zuckte auf elegante Weise mit den Achseln. »Ich würde Ihnen gern meinen Sohn Harry vorstellen. Er ist in Ihrem Alter und wird Ihnen Gesellschaft leisten, während ich die perfekte Gastgeberin spiele. Wenn Sie mich kurz entschuldigen würden: Ich suche ihn und bringe ihn zu Ihnen.«
Olivia war entwaffnet durch Adriennes offene Einschätzung der Lage, weil sie aus vergleichbaren Situationen
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