Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Orchideenhaus

Orchideenhaus

Titel: Orchideenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Riley
Vom Netzwerk:
Gefühle in den Griff zu bekommen.
     
    Der erste Schritt zur Debütantin war die Anmeldung im St. James Palace. Mädchen konnten dem Hof nur vorgestellt werden, wenn sie von einer Lady unter die Fittiche genommen wurden, die selbst präsentiert worden war. Da Olivias Mutter in ihrer Jugend Debütantin gewesen war, hätte sie diese Aufgabe problemlos übernehmen können, doch das wollte Lady Vare nicht. Am Ende gab Olivias Mutter nach, überließ Lady Vare die Vorbereitung von Olivias Londoner Saison und kehrte nach Surrey zurück.
    Zwischen den zahllosen Kleideranproben konnte Olivia tun, was sie wollte. Was bedeutete, dass sie viel Zeit hatte, über Harry Crawford und ihren Aufenthalt in Wharton Park nachzudenken.
    Die beiden Tage dort wurden in ihrer Erinnerung fast zu einer Art Fata Morgana. Vor ihrem geistigen Auge ließ Olivia wieder und wieder die Gespräche mit Harry Revue passieren und freute sich darüber, dass er sie als intellektuell ebenbürtig behandelt hatte. In ihrem gegenwärtigen Leben in London vermittelte man ihr eher das Gefühl, nicht viel mehr als ein Anziehpüppchen zu sein.

    Sie wusste, dass ihr Kalender, sobald die Saison begann, voll sein würde mit anstrengenden Tanzveranstaltungen, Lunch-und Abendeinladungen, die alle dazu dienten, sie in die Gesellschaft einzuführen und einen geeigneten Partner für sie zu finden.
    Die Ungerechtigkeit dieses Überflusses vor dem Hintergrund von Arbeitslosigkeit, Armut und sozialen Unruhen entging Olivia nicht. Wenn sie im Bentley ihrer Großmutter in London herumchauffiert wurde, beobachtete Olivia durchs Fenster die armen Leute, die auf der Straße lebten und sich die Hände an Feuern wärmten, sowie die Männer, die mit Transparenten am Parlamentsgebäude vorbeimarschierten, auf denen sie die Regierung aufforderten, ihre Kinder vor dem Hungertod zu bewahren.
    Olivia fühlte sich isoliert durch ihre privilegierte Stellung und nicht als Teil des sich verändernden Zeitgeistes; sie war in der Alten Welt gefangen, obwohl sie zur Neuen gehören wollte. Manchmal machte sie einen Spaziergang entlang des Embankment, warf den Obdachlosen, die unter den Brücken froren, Münzen zu und hatte ein schlechtes Gewissen ihrer warmen, guten Kleidung wegen.
     
    Eines Nachmittags nach einer Sitzung bei Lenare, dem berühmten Fotografen, der sie in ihrem traditionellen weißen Debütantinnenkleid im Bild festgehalten hatte, klopfte die Zofe ihrer Großmutter an die Tür.
    »Lady Vare lässt fragen, ob Sie so freundlich wären, mit ihr den Tee im Salon zu nehmen.«
    Als Olivia den Raum betrat, saß Lady Vare steif auf einem Ledersessel mit hoher Lehne am Kamin.
    »Setz dich doch bitte, Olivia. Da deine Präsentation unmittelbar bevorsteht, wollte ich mit dir über die Leute sprechen,
die dir während der Saison begegnen werden. Früher war Misstrauen nicht nötig, aber leider …«, Lady Vare rümpfte die Nase, »… ist das Niveau gesunken, und es gibt gewisse … Elemente , die keine angemessene Gesellschaft für eine junge Dame wie dich sind. Dazu zählen zum Beispiel Ausländer. Durch ein Gespräch mit einer Mutter, deren Tochter ebenfalls vorgestellt wird, habe ich herausgefunden, dass es eine Clique gibt, die als … frivol gilt. Olivia« – sie hob mit strenger Miene den Zeigefinger –, »von ihr musst du dich fernhalten.«
    »Wie soll ich sie erkennen?«, fragte Olivia mit unschuldigem Blick.
    »Sie tragen Lippenstift und rauchen.«
    Olivia unterdrückte ein Lachen.
    »Ich passe auf, Großmutter, das verspreche ich dir, und hoffe, dass ich dich stolz machen kann.«
    Lady Vare nickte. »Das gelingt dir sicher, Olivia. Wenn du mich jetzt bitte entschuldigen würdest. Ich muss mich noch um andere Dinge kümmern.«
    Als Olivia an jenem Abend zu Bett ging, wünschte sie sich nichts sehnlicher, als dass die bevorstehenden drei Monate so schnell wie möglich vorüber wären, damit sie ihr eigenes Leben führen konnte.
     
    Der Präsentationsabend lief reibungslos ab und war weitaus vergnüglicher, als Olivia sich ihn vorgestellt hatte. Die Mall, die sie entlangchauffiert wurde, säumten Schaulustige, und auch vor den Toren des Buckingham-Palasts wimmelte es von Menschen. Wildfremde Leute warfen ihr Kusshändchen zu, baten ihren Chauffeur, das Innenlicht des Wagens einzuschalten, damit sie Olivias Kleid besser begutachten konnten, und bejubelten sie. Es erstaunte sie, dass sie ihr die privilegierte
Stellung nicht zu neiden und sie auch nicht infrage zu stellen

Weitere Kostenlose Bücher