Orchideenhaus
gedacht, dass du heute Abend hier sein würdest. Wie läuft’s? War’s in Sandhurst so schlimm, wie du dachtest?«
»Noch schlimmer!«, scherzte Harry, denn Sebastian war einer der wenigen jungen Männer, denen gegenüber er sich eine solche Bemerkung erlauben konnte. Sie kannten einander aus Eton, wo der asthmatische, kurzsichtige Bücherwurm Sebastian sich mit dem musikalischen, schüchternen Harry zusammengetan hatte. Sie waren beide von den anderen tyrannisiert worden und hatten ihnen, obwohl sie nicht
viele Gemeinsamkeiten besaßen, zusammen als Außenseiter die Stirn geboten. »Zum Glück ist die Zeit vorbei. Jetzt steht der Krieg bevor, und ich freue mich schon darauf, mir das Bein abschießen zu lassen«, sagte Harry mit düsterer Miene.
»Vor diesem Schicksal werde ich wenigstens bewahrt«, stellte Sebastian fest und setzte die Brille wieder auf. »Niemand mit einem Funken Verstand würde mir ein Gewehr in die Hand drücken. Ich sehe ja nicht mal, worauf ich ziele.«
»Dich würde ich nicht in meinem Bataillon wollen, mein Lieber, aber mich wahrscheinlich auch nicht«, stellte Harry schmunzelnd fest, während er zwei Gläser Champagner von einem Tablett nahm und eines davon Sebastian reichte. »Und, was treibst du so?«
»Ich arbeite im Handelsunternehmen meines Vaters. Man hat mir im Londoner Büro eine Ausbildung angedeihen lassen, und bald werde ich nach Bangkok fahren, um dort die Zentrale zu leiten. Papa möchte nach zwanzig Jahren im Ausland endlich zurück nach Hause, auch wenn er nicht weiß, was ihm hier blüht.«
»So, so.«
»Das Einzige, was ich wahrscheinlich mit dem Krieg zu tun haben werde, falls er tatsächlich ausbricht, ist die Organisation unserer Schiffe, die Truppen und Versorgungsgüter nach Asien bringen. Eigentlich freue ich mich sogar darauf, denn angeblich sind die siamesischen Mädchen eine Wucht!«
»Klingt fast so, als würdest du genau zum richtigen Zeitpunkt das Land und das Chaos in Europa verlassen«, bemerkte Harry nicht ohne Neid. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass es sich bis in den Fernen Osten ausbreiten wird.«
»Ich auch nicht, aber sicher weiß das niemand, oder?«, sagte Sebastian. »Ich habe ein schlechtes Gewissen, dass ich nichts für unser Land tun kann, aber vielleicht ist das der gerechte
Ausgleich für meine schlechten Augen und mein schwaches Herz«, meinte er mit einem Grinsen.
Harry berührte kurz seine Schulter zum Abschied, weil er sah, dass Penelope immer noch allein herumstand. »Ich muss los, alter Junge. Schick mir doch eine Karte, sobald du deine Adresse in Bangkok weißt.«
»Mach ich. Hat mich wirklich gefreut, dich wiederzusehen, Harry. Bemüh dich, am Leben zu bleiben, wenn der schlimmste Fall eintreten sollte, ja? Ich reservier dir ein paar hübsche kleine Siamesinnen.«
Beim Essen genoss Olivia das Gespräch mit ihren Tischnachbarn, hauptsächlich Leute, die sie aus London kannte. Links von ihr saß Angus, der schottische Laird, der ihr schöne Augen zu machen schien, und zu ihrer Rechten Archie,Viscount Manners. In London munkelte man, Archie sei »vom anderen Ufer«. Olivia mangelte es an Erfahrung, das zu beurteilen.
Nach dem Essen wurden sie aus dem Raum geleitet, damit man die Tische entfernen konnte. Olivia ging mit Archie auf die Terrasse, um ausnahmsweise eine Abdullah-Zigarette mit ihm zu rauchen.
Archie blickte seufzend auf den Park, der im Dämmerlicht lag. »Kaum auszuhalten, so schön ist es hier. Wie Blake so richtig schreibt: Man weiß schon im Entstehen um die Vergänglichkeit. «
Da begann die Kapelle zu spielen, und die Gäste schlenderten in den Ballsaal.
»Ich hoffe, es macht dir nichts aus, wenn ich dich nicht zum Tanzen auffordere, denn ich habe zwei linke Füße und möchte dich nicht verletzen, Olivia«, gestand Archie. »Es steht dir frei, dir einen anderen Partner zu suchen.«
»Mir gefällt es hier sehr gut.«
»Das wird sich gleich ändern. Ich sehe schon einen Verehrer nahen.«
Und tatsächlich: Harry kam über die Terrasse auf sie zu. »Ich störe doch nicht, oder?«, fragte er unsicher, als er zu ihr trat.
»Aber nein«, antwortete Olivia sofort. »Darf ich Ihnen Archie vorstellen? Archie, das ist Harry Crawford, der Sohn des Hauses.«
Die beiden Männer musterten einander kurz, bevor Harry Archie die Hand reichte. »Erfreut, Sie kennenzulernen.«
»Ganz meinerseits«, sagte Archie und lächelte.
Olivia brach das Schweigen, das sich nun herabsenkte. »Archie und ich haben uns
Weitere Kostenlose Bücher