Orchideenhaus
ihre Freundin gesagt hatte, und kam zu dem Schluss, dass Harry vielleicht tatsächlich nur sehr schüchtern war. Also nahm sie sich vor, Venetias Rat zu befolgen und sich auf ihren Mann »zu stürzen«.
Nach Mitternacht ging Olivia in ihrem hübschesten peignoir und voller Angst, dass der Mut sie verlassen könnte, durch den Wohnraum zu Harrys Ankleidezimmer, wo sie feststellte, dass sein Bett leer war. Neugierig, wo er sich seit dem Abendessen aufhielt, schlich sie auf Zehenspitzen die Treppe hinunter.
Sable hatte alle Lichter gelöscht, was normalerweise bedeutete,
dass sämtliche Mitglieder des Haushalts im Bett lagen. Doch von der Eingangshalle aus sah Olivia einen Lichtstreifen unter der Bibliothekstür.
Sie drückte leise die Klinke herunter.
Olivia blieb der Mund offen stehen. Harry stand mit dem Rücken zu ihr am Kamin; Archie küsste ihn mit geschlossenen Augen und drückte ihn voller Leidenschaft an sich.
Olivia hastete den Flur entlang zur nächstgelegenen Toilette, um sich zu übergeben.
Nach einer schlaflosen Nacht erwachte Olivia am Morgen des 24. Dezember froh darüber, dass sie sich ablenken konnte, indem sie Adrienne half, den Weihnachtsbaum in der Eingangshalle zu schmücken, der aus den Wäldern von Wharton Park stammte. Aus dem Radio erklangen Weihnachtslieder, und alle außer Olivia schienen sich auf das Fest zu freuen.
Venetia, Archie und Angus wollten mittags nach London zurückfahren. Olivia verbarg sich oben in ihrem Schlafzimmer, weil sie den Gedanken daran, sich höflich von Archie zu verabschieden, nicht ertrug. Venetia kam zu ihr.
»Darling, ich mache mir Sorgen um dich. Du siehst einfach schrecklich aus heute. Falls du mich brauchen solltest, weißt du, wo du mich finden kannst«, sagte Venetia, als sie Olivia zum Abschied auf die Wange küsste.
»Danke«, antwortete Olivia, die es nicht schaffte, ihr zu erzählen, was sie in der Nacht beobachtet hatte.
Irgendwie gelang es ihr, den Tag einschließlich des Geschenkeauspackens am Abend zu überstehen. Sobald die Etikette es erlaubte, zog Olivia sich in ihr Zimmer zurück und verkroch sich im Bett, um sich vor der Kälte zu schützen, die ihr bis in die Knochen zu kriechen schien.
Eine Stunde später betrat Harry das Schlafzimmer.
»Schatz, bist du wach?«
Als sie nicht antwortete, ging er ums Bett herum. Sie spürte, wie sein Gesicht sich dem ihren näherte.
Da richtete sie sich kerzengerade auf und kreischte: »Rühr mich nicht an!«
Harry trat, bestürzt über ihren Ausbruch, einen Schritt zurück.
»Schatz, was ist denn los?«
Sie sprang aus dem Bett, um nur ja nicht in seiner Nähe zu sein.
»Ich weiß, dass ich nichts mehr daran ändern kann, dich geheiratet zu haben. Aber bitte versprich mir, mich nie wieder anzufassen. Du … ekelst mich an!«
Harry folgte ihr, als sie, vor Kälte und Wut bebend, zum Kamin ging. »Schatz, sei nicht hysterisch. Was, in Gottes Namen redest du denn da?«
»Ich habe dich … mit ihm gesehen«, zischte sie. »Heute Nacht in der Bibliothek.«
Harry wandte den Blick ab und nickte. »Verstehe.«
»All die Wochen habe ich mich gefragt, warum du mich nicht begehrst wie ein Ehemann und mich nicht berühren willst. Ich war verzweifelt, weil ich dachte, es liegt an mir, ich mache etwas falsch. Aber letztlich« – Olivia lachte rau – »hättest du mich nie begehrt, oder? Ich gehöre einfach dem falschen Geschlecht an.«
Sie musterte ihn ohne Mitleid, als er in einen Sessel beim Kamin sank und den Kopf in den Händen vergrub.
»Olivia, es tut mir schrecklich leid. Du hättest das nicht sehen sollen.«
»Und du hättest es nicht tun sollen! Wie konntest du, Harry? Hier in diesem Haus! Jeder hätte dich dabei beobachten können … Wie ich!«
»Olivia, ich schwöre dir, es war das erste Mal und wird nie wieder passieren. Ich … Wir waren betrunken …«
»Bitte erspar mir die Ausreden, Harry. Willst du wirklich behaupten, du wärst nicht in der Lage gewesen, den Avancen eines anderen MANNES zu widerstehen?«
»Schatz …«
»Nenn mich nicht Schatz! Ich bin nicht dein Schatz, sondern er !« Hemmungslos schluchzend ging sie zum Bett und sank auf das Fußende. »Harry, wie konntest du so grausam sein, mich zu heiraten, wenn du wusstest, wie du veranlagt bist?«
»Ich wusste nicht … weiß nicht … Olivia, vielleicht verstehst du das nicht, aber in der Schule …«
»Es ist mir egal, was in der Schule war! Jetzt bist du verheiratet! Wie konntest du meinen Kummer mit ansehen,
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