Orchideenhaus
erwies.
Nach dem Verlassen der Küche begegnete Olivia Adrienne, die die ganze Woche über kaum das Schlafzimmer verlassen hatte, in der Eingangshalle. »Kommst du auf einen Drink mit in die Bibliothek, Olivia?«, fragte sie. »Ich könnte einen gebrauchen. «
»Gern«, antwortete Olivia, obwohl sie nach dem langen Tag müde war.
Da Sable tagsüber den Traktor lenkte, musste Adrienne die Drinks selbst servieren. »Gin?«
»Ja, prima«, erwiderte Olivia und ließ sich in einen Sessel plumpsen.
»Wie läuft’s mit den Mädchen? Wie sind sie?«, erkundigte sich Adrienne, als sie Olivia das Glas reichte und ihr gegenüber Platz nahm.
»Sie scheinen ganz nett zu sein, aber wahrscheinlich kann man das nach so kurzer Zeit noch nicht beurteilen. Sie besitzen keinerlei Erfahrung und müssen lernen«, erklärte Olivia. »Außerdem ist in einem Sturm ein jeder Hafen recht…«
»Stimmt«, pflichtete Adrienne ihr bei. »Und verglichen mit dem, was unsere Jungs durchmachen, ist das hier nichts. Immerhin hattest du mit Harry länger Zeit als die meisten.«
»Ja.«
Adrienne sah ihre Schwiegertochter an. » Chérie , ich möchte ja nicht aufdringlich wirken, aber ist mit dir und Harry alles, wie es sein sollte?«
»Ja.« Olivia nickte, obwohl sie eine Gänsehaut bekam. »Wir genießen die Zeit, die uns vergönnt ist.«
Adrienne musterte Olivia genauer. »Möglicherweise liegt es daran, dass ihr euch so selten seht. Ich glaube, eine gewisse … Distanz zwischen euch zu erkennen.«
»Wahrscheinlich hast du recht, Adrienne. In den letzten Wochen hatten wir nie mehr als ein paar Stunden für uns.«
»Vielleicht solltet ihr, sobald Harry Urlaub erhält, zusammen wegfahren. Schließlich hattet ihr keine Flitterwochen.«
Die Vorstellung, allein mit Harry zu sein, verursachte Olivia körperliches Unbehagen. »Adrienne, wir wissen beide, dass unsere Priorität der Einsatz im Krieg ist.Wir haben noch ein ganzes Leben miteinander vor uns.«
»Wie großmütig von euch«, bemerkte Adrienne mit leichtem
Schaudern. »Hoffen wir nur, dass es auch tatsächlich so kommt.«
Im April 1940 marschierte Deutschland in Dänemark und Norwegen ein, und gleichzeitig begann der britische Feldzug.
Trotz des Krieges und der Angst vor einer Landung der Deutschen auf den Britischen Inseln stellte Olivia fest, dass ihr das neue Leben gefiel. Die WLA hielt sie auf Trab; mittlerweile war sie zu einer Expertin der »Willkommenstreffen« für die Mädchen geworden und verstand, deren Probleme zu lösen.
Die Wharton Land Girls waren im Großen und Ganzen eine lustige Truppe, und wenn Olivia ihnen mittags die Sandwiches auf die Felder brachte, setzte sie sich oft zu ihnen und beteiligte sich an ihrem fröhlichen Geplänkel. Kümmerte sie sich nicht gerade um die Mädchen, einen kaputten Traktor oder ein ausgerissenes Schwein, blieb sie bei Adrienne im Haus. Den Ballsaal hatte man zu einer Sammelstelle für die zahllosen Kapuzenmützen, Schals und Socken umfunktioniert, die die Frauen in Norfolk für die Männer an der Front strickten.
Ironischerweise herrschte nun in Wharton Park regeres Leben als vor dem Krieg.
Inzwischen wusste Olivia, dass Adrienne ausgesprochen zart besaitet war. Beim geringsten Anzeichen eines Problems schützte sie Kopfschmerzen vor und zog sich in ihr Zimmer zurück, manchmal tagelang. Gar nicht auszudenken, was ohne Olivia mit Wharton Park passiert wäre. Auch die Bediensteten wandten sich bei Schwierigkeiten immer häufiger an sie.
Im Frühjahr wurde aus dem » Drôle de guerre «, dem »komischen Krieg«, ein richtiger, und Deutschland startete die Offensive gegen Frankreich durch Belgien und die Niederlande.
Harry zog mit seinem Bataillon in das örtliche Internat in Holt. Aufgrund der inzwischen sehr realen Gefahr einer deutschen Invasion der Britischen Inseln wurden alle Kräfte entlang der Küste von Norfolk in Alarmbereitschaft versetzt.
Ende Mai verlagerten sich die Kämpfe in Richtung Dünkirchen. Olivia verbrachte die Abende in den Cottages der Land Girls vor dem Radio und hörte Nachrichten. Von zweien der Mädchen – Bridge und May – befanden sich die Verlobten an der Front. Kurze Zeit später hieß es im Rundfunk, die britischen Truppen würden aus Dünkirchen abgezogen. Nun verstummten die Scherze und das fröhliche Geplauder; alle in Wharton Park warteten mit angehaltenem Atem auf Nachrichten über den Ausgang der Aktion.
Als der neue Premierminister Winston Churchill in seiner allabendlichen
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