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Orchideenstaub

Orchideenstaub

Titel: Orchideenstaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Pleva
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beiden zu und krächzte: „Was ist passiert?“
    Rafaels Augen waren jetzt gefüllt mit Tränen, als er hochsah. Er erzählte stockend, dass man Lea gestern Nacht wohl entführen wollte. Seine Schwester musste sich so gewehrt haben, dass sie letztendlich von ihr abgelassen und nur auf sie geschossen hatten.
    Die Worte waren wie ein Hieb in die Magengegend. Sam stand plötzlich neben sich.
    „Ist sie …“ Thiel hütete sich dieses Mal davor, das Wort laut auszusprechen.
    „Sie liegt im Koma, aber es sieht nicht gut aus“, schluchzte Rafael.
    „Was heißt, es sieht nicht gut aus?“
    „Sie sagen, sie überlebt die Nacht vielleicht nicht.“
    Aurelia schluchzte verhalten in ihr Taschentuch und Rafael legte tröstend eine Hand auf ihr Knie.
    Sams Instinkte bekamen eine Alarmmeldung. Was stimmte hier nicht?
    Inzwischen war auch Maria aus ihrem Zimmer gekommen. Sie war zwar verblödet, aber die Ernsthaftigkeit der Situation schien sie doch zu erfassen. „L-L-Lea i-i-ist tot?“, fragte sie und verzog das Gesicht zu einer Grimasse.
    „Noch nicht“, antwortete Thiel kalt. „Seit wann weißt du es?“, richtete er die Frage wieder an seinen Sohn.
    „Ich habe es gerade eben erst erfahren.“
    Heinrich Thiel sah seinen Sohn zweifelnd an. „In welches Krankenhaus hat man sie gebracht?“
    „Ins San Vicente .“
    San Vicente? Wo hatte Sam schon einmal diesen Namen gehört? Er kam nicht drauf, weil er  durch ein Wirrwarr von Gedanken und durch ein seltsames kribbeliges Gefühl in der Magengegend abgelenkt war. Dann ging er langsam nach draußen, sah sich um, und als er sich unbeobachtet fühlte, öffnete er die Tür zu Rafaels Wagen und ging in die Hocke. Er griff unter den Fahrersitz und fühlte etwas Kaltes und Hartes in seiner Hand. Es war ein Handy. Warum hatte Rafael sein Handy unter dem Sitz versteckt?
    Das algo fiel für den heutigen Tag aus, denn die Familie fuhr geschlossen in die Klinik zu Lea, um in den letzten Stunden bei ihr zu sein.
    Sam zog sich zurück und überlegte, wen er als erstes aus dem Bett holen sollte, um ihn über den neuesten Stand der Dinge aufzuklären. Beauchamp oder Brenner? Er entschied sich für Brenner, der ihn ja auch hier in diese Hölle geschickt hatte.
    Danach rief er Juri an. Das Gespräch mit seinem Partner war aufschlussreicher als gedacht. Der Schatten Juan Carlos, der Rafael seit seiner Ankunft auf Schritt und Tritt folgte, hatte einen Zwischenbericht vom heutigen Tag abgegeben. Demnach war Rafael am Morgen ins Heim gefahren und danach, gegen Mittag, in ein Apartmentkomplex gegangen, wo er sich eine Weile aufgehalten hatte. Nachfragen hatten ergeben, dass Lea dort eine Wohnung besaß. Aber Lea war gestern Nacht angeschossen worden und laut Rafael hatte er erst, kurz bevor er zu seinen Eltern auf die Finka gefahren war, davon erfahren.
    Offenbar entsprach das aber nicht ganz der Wahrheit.
    Plötzlich wurde Sam klar, was ihn vorhin gestört hatte. Rafael hatte sich unbeobachtet gefühlt, als er aus dem Wagen gestiegen war und sich so verhalten, als sei gar nichts Ungewöhnliches geschehen. Mehr noch, er hatte Leas Handy unter dem Sitz versteckt und war dann im Haus ganz plötzlich in Tränen ausgebrochen … Glaubwürdiger wäre er gewesen, wenn er sich den Ausbruch erspart und sich so verhalten hätte, wie nach der Ermordung seiner Frau Leila. Kühl, beherrscht und fast unbeteiligt.
    Sam begutachtete das fremde Handy in seiner Hand. Es hatte wesentlich mehr Menüpunkte als sein altes Nokia, aber zum Glück funktionierten alle auf die eine oder andere Weise gleich. Er öffnete die Kontaktliste, ging dann auf Anrufe und drückte auf angenommene und gewählte Nummern. Bei dem letzten Anruf stand Nati. Er war getätigt worden kurz bevor sie gestern auf die Finka gefahren war. Nati? Vermutlich eine Abkürzung von Nathalia. Sam ging die Namen der Angestellten durch, dort standen zwei Nathalias auf der Liste. Wahrscheinlich hieß in Kolumbien jede Vierte Nathalia, genauso wie Maria, Sofía, Juan, Carlos, Fernando, Felipe und Clara, die achtzig Prozent der Namen auf der Liste ausmachten. Gärtner, Pfleger, Krankenschwestern, Pathologen, spezielle Ärzte, die bei Notfällen gerufen wurden wie der Urologe, ein Herzspezialist, eine Dermatologin und Lea, die spezialisiert war auf Erbkrankheiten, wie er jetzt lesen konnte.
    Lea hätte gefährlich für ihn werden können. Sie war bildhübsch, gebildet, schlau und hatte das gewisse Etwas wie Lina, die immer irgendwie geheimnisvoll

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