Orchideenstaub
gleiche Schwester in ihrem Zimmer. Ein junges Mädchen. Sie schien sich ernsthaft Sorgen um Lea zu machen und sich nicht nur ihrer Arbeit wegen hier aufzuhalten.
Als Sam das letzte Mal an diesem Tag noch einmal nach Lea sehen wollte, hörte er Stimmen aus dem Zimmer. Es war Rafael, der offensichtlich mit der Arbeit der Schwester unzufrieden war.
„Ich bezahle Sie nicht, damit Sie den ganzen Tag hier herumhocken.“
„Ich weiß, Doktor, aber ich denke, dass menschliche Nähe wichtig für die Genesung Ihrer Schwester ist.“
„Deshalb bin ich ja hier.“
Das Koma war eine Schutzfunktion des Körpers, dem meistens ein extremes Ereignis vorausging. In diesem Fall hatte man auf Lea geschossen und sie verarbeitete dieses Trauma, indem sie sich in eine Welt am Rande des Todes zurückgezogen hatte. Sam konnte sich auch gut vorstellen, dass das eine oder andere zu Lea durchdrang. Und ja, sie würde es schaffen, davon war er überzeugt, sonst wäre sie bereits gestorben. Sie war eine Kämpferin.
„Ich möchte, dass Sie nach Hause fahren, Nathalia.“
„Aber ich …“
„Keine Widerrede“, sagte Rafael harsch.
Hinter sich hörte Sam Schritte näher kommen. Ohne sich umzudrehen, öffnete er die Tür und betrat das Zimmer. „Oh, störe ich? Ich wollte nur noch mal nach Lea sehen.“
„Ja, natürlich“, sagte Rafael leicht gereizt und verbarg nicht, dass ihm Sams Rumschnüffelei allmählich auf die Nerven ging.
Die junge Schwester sah Sam fast verzweifelt an, dann huschte sie an ihm vorbei. Er sah ihr nach, wartete, bis die Tür ins Schloss fiel und dann verdüsterte sich sein Gesicht. „Ich möchte eines klarstellen, Rafael. Sollte Lea irgendetwas passieren, was für ihren Zustand ungewöhnlich wäre, mache ich Sie fertig. Habe ich mich klar ausgedrückt?“
Rafael sah Sam überrascht an. „Entschuldigen Sie, aber Ihren Ton können Sie zu Hause lassen, Mister O´Connor. Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen und bin einzig und allein daran interessiert, dass meine kleine Schwester diesen schrecklichen Vorfall überlebt. Habe ich mich jetzt klar ausgedrückt?“
Sam hob warnend seinen Finger, drehte sich um und verließ das Zimmer. Draußen vor dem Heim rief er sich ein Taxi und fuhr ins Hotel.
Juri hatte sich im Zeitungsladen des Hotels vorsorglich noch ein paar Kondome gekauft und ging gerade an der Rezeption vorbei, als er eine Stimme hörte, die ihm bekannt vorkam. Eine schlanke Frau mit blonden Haaren stand mit dem Rücken zu ihm und diskutierte mit dem Manager des Hotels über ein Upgrading ihres Zimmers. Er ging zügig an ihr vorbei und warf noch einen kurzen Blick über die Schulter, um sicherzugehen, dass er sich nicht geirrt hatte.
Als Sam im Hotel eintraf saß Juri in der Cafetería und grinste übers ganze Gesicht. Er war leicht gebräunt und sah richtig erholt aus im Gegensatz zu Sam.
„Es gibt Neuigkeiten.“
„Erzähl schon und mach es nicht so spannend“, sagte Sam ungeduldig und bestellte sich einen Kaffee.
„Du wirst es nicht glauben, wen ich gerade hier im Hotel gesehen habe …“
„Juri! Ich zieh dir gleich die Ohren lang.“
„Okay … fängt mit J an.“
„Juri!“
„Nein nicht Juri … Judith Weinmann.“
Sam zog die Stirn kraus.
„Na, was sagst du dazu? Und Rafael hat vor fünf Minuten das Heim verlassen und ist auf dem Weg hierher, vermuten wir zumindest.“
Sam strich sich nachdenklich über sein Grübchen am Kinn und ließ den Blick in die Ferne schweifen. Von hier oben hatte er einen Ausblick auf die andere Seite des Tales. Kleine Ziegelsteinhäuser, die Häuser der Armen, waren dort in die grünen Hügel gebaut worden und erstreckten sich einmal rund um das Tal. Hatten Rafael und diese Weinmann doch eine heimliche Affäre? Es würde ihn nicht sonderlich wundern, wenn Rafael seine Geliebte auf der Hochzeitsreise getroffen hatte.
„Vielleicht haben die beiden doch gemeinsam Rafaels Frau um die Ecke gebracht?“, sagte Juri, während er einen blutroten dickflüssigen Saft durch einen Strohhalm sog.
„Und was wäre dann mit seinen anderen Ehefrauen?“ Sam dachte an seinen letzten Fall. Die Frau, die die Geliebten ihres hörigen Mannes umgebracht hatte, um ihn zu bestrafen. War diese Judith Weinmann vielleicht auch so eine Psychopatin? „Wie lange kannten sich die beiden eigentlich?“
„Laut ihrer Aussage, sechs Jahre“, antwortete Juri.
Zu kurz, dachte Sam. Warum auch sollten sie Rafaels Frau in Deutschland umbringen, wenn sie hier im
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