Orchideenstaub
bestätigte er, was er bereits gefühlt und geahnt und wogegen er sich mit Händen und Füßen gesträubt hatte, nämlich dass es ein weiteres Opfer geben würde. Einzig und allein der kurze Zeitabstand zwischen den Taten machte ihm Sorgen.
Peter Brenner hatte sich nicht allzu deutlich über das Gewaltverbrechen am Telefon geäußert, und als Sam am Tatort ankam, war er von dem Anblick der Toten auf dem Bett regelrecht geschockt. Auch in ihrem Gesicht stand noch der Ausdruck des Nichtverstehens und des Unglaubens über die Dinge, die mit ihr geschehen waren. Ihre langen blonden Haare lagen wie drapiert über ihrer Brust oder das, was davon noch übrig war. Sie lag in der gleichen Haltung da wie Jasmin Rewe.
Die Tote war vom Zimmerservice entdeckt worden, der einen Strauß roter Rosen aufs Zimmer stellen wollte. Der junge Mann war bereits von der französischen Polizei vernommen worden und befand sich nun in ärztlicher Behandlung.
Sam überflog den ersten Bericht, steckte ihn in die Akte, die er unter seinem Arm trug, und beobachtete die französischen Beamten bei ihrer Arbeit. Alle wuselten geschäftig hin und her und Sam konnte niemanden entdecken, der ihm auskunftsfreudig erschien.
Die tiefe sonore Stimme des französischen Leiters der Mordkommission erreichte das Zimmer, noch bevor der Mann selbst zu sehen war. Als der große, schwerfällige Mann mit dem rosigen Gesicht und dem Bart den Raum betrat, trafen sich sofort ihre Blicke. Erst Zweifel, die Stirn in Falten gelegt, dann die Erkenntnis. Lächelnd kam der Franzose mit ausgestreckter Hand auf ihn zu. „Bien sûr, Monsieur O’ Connor. L‘ Allemand mit dem amerikanischen Namen. Je suis Mathis Germain, erinnern Sie sich … Wir haben vor Jahren mit Argault diesen Kinderschlächter zur Strecke gebracht.“
„Mais oui, je me souviens encore très bien“, antwortete Sam und hoffte, dass man ihm die Lüge nicht anmerkte. Er konnte sich beim besten Willen nicht an den Mann erinnern. Er versuchte den Namen einzuordnen, aber sein Namensgedächtnis war einfach katastrophal, dafür konnte er sich normalerweise gut Gesichter merken. Die Erinnerung bröckelte nur langsam durch.
Der Franzose war damals noch dunkelhaarig gewesen, inzwischen war er komplett grau- bis weißhaarig, deshalb hatte er ihn wohl auch nicht gleich erkannt.
„Sie sind wegen Ihrer Landsleute hier, nicht wahr?“ Germain drehte sich um und zeigte auf die Leiche. „Wobei dieser Fall vielleicht eher an die ukrainischen Behörden gehen sollte.“
„Ist sie Ukrainerin?“
„Dem Namen nach ja. Katarin Gromowa. Steht zumindest in ihrem Pass. Monsieur Harry Steiner, ihren Begleiter, versuchen wir noch ausfindig zu machen. Man sagte uns, er wäre noch auf einem Kongress. Cruel, mon Dieu. Was für eine Cochonnerie.“ Germain verzog angewidert das Gesicht.
Sam schluckte die aufsteigende Übelkeit herunter, die ihm die Kehle hinaufkroch, wie ein dicker Wurm, der sich durchs Erdreich an die Oberfläche kämpft. Jeder Tatort hatte sein eigenes Aroma, was den Geruch des Todes betraf. Mal roch es mehr mal oder weniger intensiv. Dieser hier hatte eine ordentliche Dosis abbekommen.
„War sie zugedeckt, als man sie fand?“ Eine Tatsache, die Sam besonders interessierte.
„Ja, mit einem weißen Laken frisch aus der Wäscherei“, antwortete Germain.
Warum deckte er seine Opfer zu? Was sah er für einen Sinn darin? Es gab Täter, die ihre Opfer nach der Tat bedeckten, um ihnen nicht ganz die Würde zu nehmen, oder um ihre Tat ungeschehen zu machen. Das war oft bei Vergewaltigungen der Fall, was hier nicht zutraf.
„Ich hörte schon, es gibt einen ähnlichen Fall in Barcelona.“
Sam nickte zustimmend. Ähnlich, aber doch anders, dachte er. „Wurde dem Opfer auch Petrolether ins Herz gespritzt?“
„Das werden wir wohl erst nach der Obduktion wissen. Wundbenzin?“ Inspektor Germain kratzte sich hinter dem Ohr. „C’est curieux.“
„Warum finden Sie das merkwürdig?“
„Ich weiß nicht … der Gedanke ist mir plötzlich entfallen.“
Für einen Augenblick hatte Sam das Gefühl, dass sein französischer Kollege absichtlich den Gedanken vergessen hatte.
„Nun, das hier ist der Grund, warum man Sie wohl herkommen ließ. Das haben wir neben der Toten gefunden.“
Der Inspektor reichte Sam einen kleinen Plastikbeutel, in dem ein kleiner Schnipsel lag. Sofort fielen ihm die Handschrift und die rote Tinte auf.
Gesunde zu Krüppeln, verstummt ist ihr Schrei.
Der Tod als Erlösung,
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