Orchideenstaub
er machte sie frei.
„Ich verstehe nur ein paar Worte. Une traduction wäre doch sehr hilfreich, Monsieur O´Connor. Was genau steht dort?“
„Nun, wenn Gesunde zu Krüppeln gemacht werden, ist der Tod die Erlösung für sie“, erklärte Sam auf Französisch. „Wir dachten, es handelt sich im ersten Fall nur um einen Spruch, aber dies scheint der zweite Teil zu sein. Eine Art Gedicht vielleicht.“
„Une poème?“
Sam nickte. Dabei dachte er, dass eigentlich diese Zeilen eher auf den ersten Mord gepasst hätten, und die ersten zu diesem Fall.
„Denken Sie auch, dass sie eine Prostituierte war?“
„C’est faisable. Où une maitresse, mais …?“
Plötzlich wurden sie durch eine aufkommende Unruhe abgelenkt. Beide Männer drehten sic gleichzeitig um, um den Herd dessen auszumachen, als ein Mann ins Zimmer hereinstürzte. Er sah sich wie ein Gehetzter um, dann fiel sein Blick auf das Gesicht der jungen Frau, die man bereits in einem Leichensack verstaut hatte, ohne ihn jedoch ganz zu schließen. Ein fast unmenschlicher Schrei entrang sich seiner Kehle, bevor er sich auf die Tote stürzte.
Sam war der Einzige, der sofort reagierte, und Harry Steiner kurz vor dem Fall auf die Tote abfing und zur Seite schleuderte, sodass er gegen den Schrank prallte. Anschließend half er dem Mann auf, setzte ihn auf einen Stuhl und entschuldigte sich für sein grobes Eingreifen bei ihm. Doch Dr. Harry Steiner reagierte gar nicht. Er sah nur fassungslos zu, wie die Leiche seiner Geliebten abtransportiert wurde, dann fiel er in eine Art katatonischen Zustand und starrte ins Nichts.
Sam versuchte ihn zu erreichen, gab es jedoch nach fünf Minuten auf. Er behielt den älteren Mann im Auge und wartete bis Dr. Steiner den ersten Schock überwunden hatte. Erst nach einer halben Stunde nahm er erneut Anlauf. „Herr Dr. Steiner, ich bin hier, um Ihnen zu helfen. Können Sie mir erzählen, in welchem Verhältnis Sie zu der Toten standen?“
„Sie war meine Geliebte.“
„Sind Sie verheiratet, Dr. Steiner?“
„Wer macht so etwas Grauenvolles? Sie hatte doch nur mich, meine kleine Katarin“, flüsterte Harry Steiner und verbarg das Gesicht in seinen Händen.
Sam begann, seine Rolle als Ermittler zu verabscheuen. Immer wieder musste er in seinem Beruf in Menschen dringen, die gerade einen geliebten Menschen verloren hatten, nur um irgendwelche Informationen aus ihnen herauszuquetschen. Hätte man das mit ihm gemacht, er wäre wahrscheinlich handgreiflich geworden. „Sie sind Augenarzt, nicht wahr?“, fragte er weiter, obwohl er die Antwort schon wusste.
Als Harry Steiner Sam nun ansah, war sein Gesicht gerötet, seine Augen blickten müde. Er nickte träge, während sein Blick zu dem blutverschmierten Bett hinwanderte. „Was hat man mit ihr gemacht? … Da ist … da ist so viel Blut?“, murmelte er stockend.
Sam schwieg und spielte verlegen mit der Ecke seiner Akte, die auf dem Tisch lag.
„Dem vielen Blut nach zu urteilen, war sie noch länger am Leben … Das stimmt doch?!“ Harry Steiner griff nach Sams Arm und sah ihn mit flehendem Blick an.
„Genaues kann ich Ihnen erst nach der Obduktion sagen“, antwortete Sam ruhig und sah durch Harry Steiner hindurch. Er konnte den traurigen, verzweifelten Blick des Mannes kaum ertragen, und als Steiner noch anfing zu schluchzen, sah Sam betreten zu Boden.
„Ich kann nicht ohne sie nach Hause fahren. Das geht nicht“, sagte der Mann leicht hysterisch und sah Sam mit weit aufgerissenen Augen an.
„Dr. Steiner, Sie sind noch gar nicht reisefähig. Ich werde Sie jetzt erst einmal dafür sorgen, dass Sie ein anderes Zimmer bekommen.“
„Ja, sicher“, sagte der Arzt resigniert und ließ sich von Sam langsam aus dem Zimmer führen. Auf dem Weg nach unten zur Rezeption versuchte Sam, noch etwas mehr von dem Arzt in Erfahrung zu bringen. „Sagen Sie, bei dem Kongress für Augenärzte … Worum geht es da genau?“
„Um neue Operationsmethoden bei Netzhautkrankheiten. Im Endstadium war bisher eine Erblindung unvermeidbar. Durch eine Transplantation …“ Dr. Steiner hielt sich an der Wand des Fahrstuhls fest. Er wankte wie ein Betrunkener. „Ich kann es nicht glauben … mein Leben ist zerstört.“
Sam legte beruhigend seine Hand auf die Schulter des Mannes. „Dr. Steiner ich bin vor vier Monaten durch das Gleiche gegangen. Ich weiß, wie Sie sich fühlen.“
Der Arzt hob den Kopf und sah ihn mit wässrigen Augen an. „Sie?“
„Ja, ich.“ Es
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