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Orchideenstaub

Orchideenstaub

Titel: Orchideenstaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Pleva
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seinem Vater. Da war er knapp einen Monat alt.“
    Sam hielt das Foto ins Licht, um es besser sehen zu können. Richard Rewe hatte auf dem Bild schütteres Haar, war leicht untersetzt und trug eine Hornbrille auf der Nase. Sam reichte das Foto an Juri weiter.
    „Er war damals sechsundvierzig, ich gerade mal zwanzig.“
    Sam überschlug schnell, wie alt Frau Rewe sein musste und kam auf genau siebzig Jahre. Ihre Gesichtszüge waren glatt und jugendlich, wodurch sie gute fünfzehn Jahre jünger wirkte. Das gepflegte graue Haar trug sie in Kinnlänge. Es umspielte elegant ihr schmales Gesicht.
    „Das hier habe ich gesucht. Sehen Sie, hier auf der Rückseite steht’s.“
    Auf dem Foto waren etwa zehn Personen abgelichtet. Ein paar in weißen Kitteln, die anderen in Straßenkleidung. Sie standen in zwei Reihen, wie bei einem Klassenfoto. Im Hintergrund war ein weißes Gebäude zu sehen, das umsäumt war von Palmen. Eine Schwester mit weißer Haube war offenbar versehentlich auf das Foto gekommen. Sie schob jemanden im Rollstuhl. Das Gesicht des im Rollstuhl Sitzenden war von einem der Männer halb verdeckt, aber es hatte etwas Eigenartiges. Und noch etwas war auf dem Foto: ein Schild, ebenfalls nur halb zu sehen, auf dem irgendwas stand. Sam kniff die Augen zusammen und hielt das Foto weiter weg.
    „Hier, nehmen Sie die.“ Frau Rewe nahm ihre goldumrahmte Lesebrille ab und reichte sie Sam über den Tisch, der sie lediglich wie ein Vergrößerungsglas vor das Foto hielt. Tatsächlich waren die Buchstaben jetzt deutlicher erkennbar. Casa de…, mehr konnte man bedauerlicherweise nicht darauf lesen. Sam drehte das Bild um. Mit Tinte geschrieben und teilweise etwas verschmiert standen dort sechs Namen. Unter anderem Steiner und Rewe. Das war ein Volltreffer, dachte er. „Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr Sie uns damit geholfen haben, Frau Rewe.“
    Juri hatte sich die anderen aussortierten Fotos angesehen. Es waren Familienfotos jüngeren Datums.
    Das Foto muss jemand anderem gehört haben, dachte Sam. „Das ist nicht die Handschrift ihres Mannes, oder?“
    „Nein, ich glaube nicht. Warum?“
    „Ich dachte nur, dass man seinen eigenen Namen ja nicht hinten raufschreibt, oder?“
    „Das ist richtig. Aber ein Name, den ich öfter gehört habe, steht hier nicht drauf. Sicher gehörte das Foto ihm. Er ist mir entfallen … ach herrje, man wird alt“, stöhnte sie und legte Sam ein weiteres Foto hin.
    „Also diese beiden Herren da, die kenne ich zum Beispiel nicht. Sie waren zu einem Geburtstag meines Mannes plötzlich aufgetaucht. Haben sich auch nicht vorgestellt. Gesehen hab ich sie auch nie wieder.“
    „Wissen Sie, wann die gemacht worden sind?“
    „Ich glaube es war sein Fünfzigster, kann aber auch der Sechzigste gewesen sein. Und die anderen sind wohl alle gemacht worden, bevor ich Richard kennengelernt habe, also um 1950 … und dieses hier …“ Sie zeigte auf das Bild mit dem weißen Haus im Hintergrund „war um 1960, denn es gibt noch eins davon, wo das genaue Datum draufsteht.“
    „Wissen Sie auch, wo das gemacht wurde? Casa de …, könnte das in Spanien gemacht worden sein?“
    „Das kann ich Ihnen leider nicht sagen.“
    Sie durchwühlte wieder das kleine Kästchen und zauberte noch ein Foto daraus hervor. Wieder war es ein Gruppenfoto, dieses Mal waren nur fünf der Männer und eine Frau abgelichtet.
    „Richard fuhr oft weg und jedes Mal wurde ein Riesengeheimnis darum gemacht. Er sagte immer nur, dass es geschäftlich sei. Er war ein ausgezeichneter Orthopäde, aber im Grunde genommen ein Misanthrop. Er war menschlich ein Arschloch. Entschuldigen Sie.“ Sie hielt sich die Hand vor den Mund, als wäre ihr das Schimpfwort plötzlich rausgerutscht und lächelte verschämt wie ein kleines Mädchen. „Sie können die Fotos ruhig behalten. Sie haben jetzt ihren Dienst getan.“
    „Können Sie damit etwas anfangen?“ Juri holte das kleine Buch aus der Tasche und reichte es ihr über den Tisch. Sie blätterte die leeren Seiten durch und betrachtete das Bild lange und eingehend.
    „Dieses Bild kommt mir irgendwie bekannt vor. Komme aber gerade nicht drauf, wo ich es schon einmal gesehen habe. Ich habe damals Geschichte studiert, da läuft einem ja so einiges über den Weg. 1953? Nein, sagt mir nichts. Tut mir leid.“
    Sie stand auf, räumte schnell ab und stellte drei Weingläser auf den Tisch. Dazu holte sie eine Flasche Rotwein. Beide Männer winkten gleichzeitig ab, aber Frau Rewe sah

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