Orchideenstaub
Traum. Sie hoffte, nicht daraus aufzuwachen und anschließend aufgeschlitzt irgendwo aufgefunden zu werden. Konnte Glück wirklich anhalten? Ihre Mutter sagte immer, dass es von einem Selbst abhing, inwieweit das Glück anhielt, denn jeder definierte Glück anders. Rafael war einfühlsam, aufmerksam und obendrein noch gut aussehend. Groß, gut gebaut, hellhäutig und blond. In Kolumbien eine Ausnahme und von allen Frauen begehrt, weil sie dachten, er wäre ein Ausländer. Ausländer waren eine Fahrkarte in die große weite Welt, auch wenn man am Ende in einem kleinen Dorf in Deutschland oder Amerika endete. Es bedeutete Ansehen und Respekt innerhalb der Familie, von Verwandten und Bekannten. Wenn Rafael anfing zu sprechen, lobten ihn alle für sein akzentfreies und außergewöhnlich gutes Spanisch. Er selbst machte sich inzwischen einen Spaß daraus und ersparte sich jegliche Erklärung über seine wahre Herkunft. Ja, sie hatte den perfekten Mann an ihrer Seite und das bedeutete für sie Glück. Sie streichelte über ihren Bauch, eine Geste, die sie sich erst im letzten Monat angewöhnt hatte.
Das Hotel Sacher aus dem Jahr 1876 im Herzen von Wien lag direkt gegenüber der Staatsoper an einer der wichtigsten Einkaufstraßen der Stadt. Für Leila sah es aus wie ein Palast und in dem Zimmer mit dem Himmelbett fühlte sie sich wie eine europäische Prinzessin.
Rafael saß bereits nach fünf Minuten fertig angezogen auf dem Bett und schielte wieder unauffällig nach seiner Uhr. Er schien abgelenkt und nervös zu sein. „Schatz, ich geh schon mal runter. Wir sehen uns gleich unten an der Bar“, sagte er und war schon aus der Tür, bevor sie etwas entgegnen konnte.
Die Oper fing um acht Uhr an, jetzt war es erst halb sieben.
Sie schlüpfte schnell in ein schwarzes Kleid und schwarze hohe Schuhe, schnappte sich ihre Tasche und wollte gerade aus dem Zimmer gehen, als sie ein vertrautes Geräusch hörte. Rafael hatte sein Blackberry vergessen. Sie nahm es in die Hand und sah es an, als hätte sie eine gefährliche Waffe in der Hand. Sollte sie, oder sollte sie nicht? Es wäre ein Vertrauensbruch.
Sie steckte es in die Tasche und verließ das Zimmer. Eilig rannte sie den Gang zum Fahrstuhl entlang, vielleicht konnte sie Rafael noch einholen. Plötzlich verlangsamte sie ihre Schritte und blieb schließlich stehen. Ein vergewissernder Blick, dass sie allein war, dann kramte sie das Blackberry aus ihrer Tasche und drückte auf Posteingang. Namen, die sie noch nie gehört hatte und die mit Sicherheit nicht aus der Heimat waren. Sie öffnete eine bereits gelesene Mail. Während sie die Zeilen las, wurde ihr schwindelig. Das konnte doch nicht sein! Sie las Wort für Wort noch einmal. Sie betete ein stilles Gebet, hoffte, dass sie sich irrte und öffnete noch eine. Der Inhalt war anders aber ähnlich. Plötzlich machte so einiges Sinn, woran die Staatsanwaltschaft in Kolumbien in den letzten Jahren gearbeitet hatte, aber nie einen Beweis finden konnte. Dann drückte sie aus Versehen auf die zuletzt eingegangene Nachricht und wusste nicht, wie sie das rückgängig machen sollte. Leila wurde schlecht. Sie übergab sich direkt vor sich auf den Boden, wischte sich über den Mund und lief zurück aufs Zimmer.
Im Badezimmer stellte sie sich vor den Spiegel und sah sich in die Augen. „Du bist mit einem Mörder zusammen“, sagte sie zu sich selbst. Dann hörte sie wie die Zimmertür aufging. Es war nur das Zimmermädchen.
28.
MÜNCHEN Sam sah seine Post durch, die seit zwei Wochen im Briefkasten gelegen hatte, während Juri auf dem Sofa lag und durch die Kanäle zappte. Die Werbung schmiss er sofort in den Papierkorb, Rechnungen öffnete er und stapelte sie zu einem Haufen. Montag würde er sich als erstes darum kümmern, dachte er und blickte argwöhnisch auf den Absender eines Briefes in seiner Hand. Er legte ihn wieder beiseite, ging in die Küche und machte sich einen Kaffee. Zurück im Wohnzimmer griff er wieder nach dem Brief und riss ihn auf.
Juri sah sich CSI Miami an und pulte dabei Pistazien aus den Schalen. Stirnrunzelnd blickte er zu Sam, der ungläubig auf den Brief in seiner Hand starrte. „Was ist los? Irgendwas passiert?“
Sam kratzte sich am Hals: „Ich hab wohl was geerbt … von meiner Mutter.“ In Sams Stimme lag Zweifel.
„Und? Ist das so ungewöhnlich?“
„Na ja, wir hatten jahrelang keinen Kontakt. Sie stand letztes Jahr plötzlich bei mir im Büro und hat mir ein paar
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