Orchideenstaub
wegen der Miltonia Orchidee angerufen. Zugegebenermaßen ist sie nicht gerade selten. Sie war übrigens die Lieblingsblume von Prinzessin Diana“, erklärte er und ging in den hinteren Teil des Hauses.
Sam und Juri folgten ihm im Gänsemarsch auf dem künstlich angelegten kleinen Trampelpfad.
„Hier haben wir sie ja.“ Er zeigte auf eine kleine pinkfarbene mehrblättrige Blume mit schönen Zeichnungen und gelbem Kern. „Man nennt sie nicht nur wegen ihres Aussehens Veilchenorchidee, sondern auch weil sie demütig, bescheiden und im Verborgenen blüht. Sie ist eine von dreitausendfünfhundert Orchideen, die in Kolumbien zu Hause sind.“
Lorenzo war in seinem Element. Er ging jetzt von einer Orchidee zur anderen und zu jeder hatte er etwas zu sagen. Er erzählte etwas über das Herkunftsland und wo sie genau zu finden waren bis Juri ihn unterbrach: „Man kann aber diese Art Orchidee, also diese Maltonia …“
„Miltonia“, korrigierte ihn Lorenzo schnell.
„Miltonia …“, verbesserte sich Juri „ überall kaufen, oder sehe ich das falsch. Also man muss dafür nicht nach Kolumbien fahren, um an diese Latina ranzukommen?“
Sam schmunzelte über Juris Bemerkung. Typisch für ihn, die Orchidee mit einer Frau zu vergleichen. Er war eben durch und durch ein Womanizer, obwohl er sich in seiner Gegenwart sehr zurückhielt. Wahrscheinlich nahm er nur Rücksicht auf ihn, und wenn sie sich trennten, ging er los wie ein Vampir, der Blut brauchte.
„Ganz und gar nicht, das sehen Sie richtig. Eines der größten Exportgeschäfte Kolumbiens sind Blumen. Sie bekommen Orchideen heute sogar in jedem deutschen Baumarkt.“
Sam war jetzt noch stärker davon überzeugt, dass es sich bei dem Orchideenstaub um einen weiteren Hinweis ihres Mörders handelte. Aber warum hatte er ausgerechnet Spuren der Miltonia Orchidee auf den Gedichten hinterlassen? Es könnte vielleicht bedeuten, dass er demütig, bescheiden und im Verborgenen aufgewachsen war und das eine Anspielung auf seine Kindheit sein sollte.
Sie gingen gerade wieder Richtung Ausgang, als Sam vor einer Orchideenart stehen blieb, an der ein Schildchen hing mit dem Namen Galeandra baurii . Herkunftsland: tropisches Amerika, ca. 20 Arten . Die Blüten waren trompetenförmig und erinnerten ihn an die Zeichnung von Lina. Was hatte das zu bedeuten? Hatte sie etwas über seinen nächsten Fall gewusst? Würde er durch eine Orchidee in Gefahr kommen? Sam schüttelte den Kopf, das war völlig absurd, sagte er sich und schloss wieder zu Juri auf.
1956
MATO GROSSO Sie hatten alle die Stadt verlassen müssen, nachdem man mit dem Finger auf sie gezeigt und die Öffentlichkeit angefangen hatte, den Orden nach dem Verschwinden einer jungen Frau eingehender unter die Lupe zu nehmen.
Irgendjemand musste gesehen haben, wie die junge Frau in das Haus gegangen war. Sie hatte sich als Putzhilfe angeboten. Schwanger und allein, hatte sie gesagt, wie all die anderen auch. Perfekt also. Bedauerlicherweise hatte diese gelogen und das war ihnen zum Verhängnis geworden. Wie sich später herausstellte, war sie die Tochter eines hohen Industriellen, die sich vom Chauffeur der Familie hatte schwängern lassen und dafür eine Tracht Prügel von ihrem Vater bezogen hatte. Danach war sie von zu Hause weggelaufen und wollte sich eine Arbeit im „Aristokratenviertel“ suchen.
Rund um das ehemalige Kloster hatten Anhänger des Ordens ihre Häuser gebaut und damit ein süddeutsches Flair in das beliebte Viertel gebracht. Die kleine „Community“ genoss einen hervorragenden Ruf und man erzählte sich, dass dort nur schöne Männer lebten. Blond, groß und blauäugig. Und sie suchten Frauen, die ebenfalls blond waren, um mit ihnen Familien zu gründen. So manche Einheimische hatte sich daraufhin ihr dunkles Haar bleichen und färben lassen in der Hoffnung, eine von den Auserwählten zu werden. Doch den mysteriösen Männern war es nicht allein ums Aussehen gegangen. Was tatsächlich dahinter stand, blieb für die nicht Eingeweihten ein Geheimnis.
Sie hatten sich vorsorglich erst einmal für eine Weile getrennt, um nicht weiter aufzufallen, denn blonde große Menschen mit blauen Augen fielen einfach zwischen all den dunkelhäutigen Indianern in der Pampa auf. Bis die Aufregung sich gelegt hatte, sollte sich jeder allein durchschlagen und dann wollten sie ihren Sitz woanders wieder aufbauen. Ein neues Land, eine neue Stadt, ein neuer Anfang.
Er war direkt durch den
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