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Orchideenstaub

Orchideenstaub

Titel: Orchideenstaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Pleva
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schien, als hätte er an der Frau seine ganze Wut ausgelassen. Warum nur an ihr und nicht an den anderen? Hatte sie ihn gereizt, etwas gesagt, dass ihn so maßlos wütend gemacht hatte?  Sogar die Brüste hatte er ihr abgeschnitten, ihr die Weiblichkeit genommen.
    Sams Blick folgte einer Blutspur zu einem Papierkorb.
    „Wir haben den Fötus im Papierkorb gefunden“, sagte Wirsch hinter ihm. „Sie war schätzungsweise Ende vierten Monats.“
    „Das ist ja abartig.“ Juri war noch blasser um die Nase geworden und Sam merkte, wie eine unbändige Wut in ihm hochstieg. Er fühlte sich so hilflos wie noch nie.
    „Ich will sofort das Gedicht sehen“, sagte er gereizter als gewollt, doch gerade das schien seine Wirkung haben.
    „Ich kümmer mich darum.“
    Ein Beamter war dabei, den Schrank und die Taschen des Paares zu durchwühlen und holte ein altes Buch aus einer Seitentasche. Er ging die einzelnen Seiten durch, um zu sehen, ob darin etwas versteckt lag, und tütete das Beweisstück ein.
    „Was ist das?“, fragte Sam und zeigte auf das Buch.
    „Sieht aus wie ein Gedichtband.“ Der Beamte reichte es dem MKL.
    „Canti e frammenti? Von Giacomo Leopardi“, las dieser laut von dem Buchdeckel ab.
    „Ein Gedichtband?“ Sam warf Juri einen vielsagenden Blick zu.
    „Ich schau mir mal den Ehemann an. Wie heißt er?“
    „Rafael Rodriguez.“
     
    Sam und Juri gingen gemeinsam eine Tür weiter ins Zimmer 668.
    Ein Beamter war vor der Tür abgestellt worden, zwei weitere sprachen mit Rafael Rodriguez.
    Als Sam eintrat, stand einer der beiden sofort auf und streckte Sam die Hand entgegen. „Herr O’Connor, ich heiße Maik Schenker. Hab viel von Ihnen gehört. Man hat Sie schon angekündigt.“ Er lächelte Sam offen an, der es überhaupt nicht gewohnt war, von seinen Landsleuten Komplimente zu bekommen. Es bestätigte ihn ein klein wenig in seiner Entscheidung weiterzumachen, und sich selbst nicht aufzugeben.
    „Was haben Sie bisher herausgefunden?“
    „Wir hatten Anweisung von oben, auf Sie zu warten.“ Er zwinkerte Sam zu. „Aber was ich schon mal sagen kann, die beiden kommen aus Südamerika, aus Kolumbien. Sie haben eine Europareise gemacht. Flitterwochen, wie er meinte. Haben erst vor vier Wochen geheiratet. Er ist Arzt. Ach ja, er hat gerade die Tickets geändert, sie wollten übermorgen zurück in die Heimat fliegen. Angeblich war sie etwas geschwächt von der Reise.“ Er machte eine kleine Pause und überlegte. „Ja, das war’s so weit.“
    Sam bedankte sich bei Maik und setzte sich an den kleinen runden Holztisch Rafael gegenüber.
    Der Mann war zwar erschüttert von dem Mord an seiner Frau, aber nicht am Boden zerstört, wie die anderen beiden Ehemänner, bemerkte Sam. Er wirkte irgendwie abgeklärt, als hätte er in seinem Leben schon Schlimmeres erfahren müssen. „Sie sprechen Deutsch?“
    „Ja.“
    „Sonst noch eine Fremdsprache?“
    „Französisch und Italienisch“, antwortete Rafael Rodriguez knapp.
    Sam legte den italienischen Gedichtband auf den Tisch.
    „Sie mögen Gedichte?“
    „Ja, ich sammle Gedichtbände aus aller Welt.“
    Sam sah, dass Rafaels Hand leicht zitterte. Er war ein gut aussehender Mann mit seinem dunkelblonden dichten Haar und grau-grünen Augen. Untypisch für einen Kolumbianer, dachte er. Aber es gab viele blonde hellhäutige Spanier, die einstigen Eroberer Südamerikas. Wahrscheinlich hatte er davon eine große Portion abbekommen. Sam versuchte, die Größe des Kolumbianers einzuschätzen. Er war nicht gerade klein. Er schätzte ihn um die ein Meter achtzig.
    „Erzählen Sie mir von Ihrer Reise. Wo waren Sie überall in Europa, während Ihrer Flitterwochen?“
    Rafael begann langsam, die Städte nacheinander aufzuzählen. Bei der Erwähnung von Barcelona und Paris tauschte Sam und mit seinem Partner Blicke aus.
    Schloss sich hier nun endlich der Kreis? War dieser Mann aus Kolumbien mit den sanften, fast femininen Zügen tatsächlich ein brutaler Mörder? Er sollte doch eher das Opfer sein, aber der Name Rodriguez hatte nicht auf der Rückseite des Fotos gestanden. Wieder fragte sich Sam, warum der Mann vor ihm so verhalten, fast unbeteiligt schien, obwohl seine Frau nebenan halb zerstückelt lag.
    „Sie sind Arzt? Welches Fachgebiet?“, fragte Sam weiter.
    „Ich bin Allgemeinarzt.“
    „Können Sie uns sagen, wann Sie genau in Barcelona und wann in Paris waren? Und in welchen Hotels.“
    „Das steht auf den Hotelrechnungen. Sie liegen im Zimmer.“
    Sam

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