Orchideenstaub
wollte. Der Kongress beginnt doch erst übermorgen, oder nicht?“
„Fragen Sie sie doch selbst.“
„Worüber haben Sie sich unterhalten?“
„Über Gott und die Welt. Nichts Besonderes.“
„Bitte etwas genauer. Was heißt für sie Gott und die Welt?“, insistierte Sam und beobachtete Rafael, der bei der letzten Frage nervös geworden war. Sam konnte regelrecht den Adrenalinspiegel in den Adern seines Gegenübers steigen sehen.
„Belangloses eben. Ich habe ihr von meiner Reise erzählt. Venedig, Florenz, meiner Arbeit in Medellin.“
Sam glaubte dem Mann kein Wort. Sie hatten sich nicht zufällig getroffen, sondern waren verabredet gewesen. Dafür gab es zwei Zeugen. Dann hatten sie leise geredet. Das machte niemand, der sich zufällig trifft. Was hatten die beiden also für ein Geheimnis?
Sein Handy brummte auf dem Tisch und Sam nahm das Gespräch an. Die Informationen, die er nun bekam, waren mehr als überraschend und würden Rafael Rodriguez wohl endgültig in die Knie zwingen.
Juri hatte in der Zwischenzeit in einem anderen Raum Judith Weinmann interviewt. Es waren die gleichen Fragen, die bei Sam auf einem Zettel standen und die Antworten der beiden waren fast deckungsgleich. Genau wie Sam konnte auch Juri das Gefühl nicht abschütteln, dass da irgendetwas faul war, nur beweisen konnten sie den beiden nichts. Sie ließen Frau Weinmann gehen und Rafael Rodriguez wurde wie ein unbekannter Krankheitserreger unter dem Mikroskop weiterhin beleuchtet.
„Wir haben gerade erfahren, dass Leila nicht Ihre erste Frau war, die auf unnatürliche Weise umgekommen ist. Warum erzählen Sie uns nicht mehr darüber, Señor Rodriguez?!“, fuhr Sam fort und war mehr als gespannt auf die Erklärung, die der Mann ihnen nun liefern würde.
Rafael Rodriguez stieß einen lauten Seufzer aus, dann verbarg er sein Gesicht in seinen Händen. Es war ein stummes Weinen, das sich nur durch das Beben seiner Schultern bemerkbar machte.
Er war nicht der erste Täter, den Sam vor einem Geständnis zusammenbrechen sah. Er wartete geduldig, bis der Mann sich wieder im Griff hatte und malte in der Zeit wie so oft Kreise zwischen seine Notizen.
Es dauerte eine ganze Weile bis Rafael Rodriguez wieder seinen Kopf hob. Mit seinem Handrücken wischte er über sein tränennasses Gesicht und begann zu erzählen …
43.
KOLUMBIEN Auch, als die Schritte längst verhallt waren, blieb Lea noch wie angenagelt an dem Schrank stehen. Jetzt, da sie sich langsam von dem plötzlich auftauchenden Besucher im Aktenraum erholte, fing sie an am ganzen Körper zu zittern. Sie konnte kaum glauben, dass man sie nicht entdeckt hatte. Nachdem ihr Atem wieder ruhiger geworden war, trat sie einen Schritt zur Seite und inspizierte den Schrank etwas genauer. Irgendetwas hatte ihre Aufmerksamkeit geweckt. Und nun sah sie es: Der Schrank aus massivem Holz schwebte etwa einen Zentimeter in der Luft. Sie betrachtete ihn von hinten. Scharniere auf der einen Seite?
Sie stellte sich auf die andere Seite und zog daran. Erst schien er sich gar nicht bewegen zu wollen, dann gab er knarrend wie ein alter Baum nach und schwang schwer zur Seite. Vor ihr hatte sich eine schwarze Höhle aufgetan.
Lea tastete die seitliche Steinmauer nach einem Lichtschalter ab, stattdessen fand sie eine Schnur, die als Ersatz diente. Im schummrigen Licht einer Fünfundzwanzigwattbirne konnte sie vor sich schließlich einen dunklen gewölbeartigen Gang ausmachen. Ihr Herz fing an, wild in ihrer Brust zu klopfen. Sie zog den Schrank hinter sich zu und setzte langsam einen Fuß vor den anderen, als würde sie sich auf Eis bewegen. Nach unendlichen Sekunden erreichte sie eine Tür. Sie war verschlossen.
Tastend suchte sie den Rahmen, den Boden und die umliegenden Steine nach einem Schlüssel ab, fand aber keinen. Was verbarg sich hinter der Tür? War sie endlich auf das furchtbare Geheimnis gestoßen, von dem Aleida gesprochen hatte? Doch Aleida war nie hier im Heim gewesen, sie hätte davon nichts wissen können. Außer … sie hatte mal in jungen Jahren hier gearbeitet, bevor Lea geboren worden war. Aber auch Rafael hätte dann damit nichts zu tun. Er war damals noch ein Kind gewesen.
Lea ging in die Hocke, lehnte sich an die feuchten Steine und nahm den Geruch der Erde auf. Eine Spinne hatte ihr Netz in der Ecke über der Tür gespannt und wartete geduldig auf ein Opfer. Sie musste zugeben, sie taugte nicht viel als Detektivin.
Die Bilder des Traumes
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