Orchideenstaub
herausfordern. Ich dachte, wenn keiner etwas wüsste, könnte auch nichts passieren. Ich wohnte inzwischen wieder bei meinen Eltern. Und Aleida, unsere Hausangestellte, fand eines Tages ein Foto von Clara in meiner Hosentasche, als sie die Wäsche machte. Ich weihte sie ein und sie versprach mir hoch und heilig, mein Geheimnis für sich zu behalten. Zwei Jahre war ich mit Clara zusammen, bevor sie schwanger wurde. Ich dachte, nach zwei Jahren hätte ich das Schicksal überlistet. Ich stellte sie meinen Eltern vor und wir heirateten. Dieses Mal ohne großes Aufheben, in einem kleinem Kreis. Tja, und sie können es mir glauben oder nicht, aber eines Morgens lag sie tot neben mir. Ich war von der Nässe im Bett wach geworden. Überall war Blut. Wir waren am Abend zuvor aus gewesen und ich konnte mich nicht mal mehr erinnern, wie ich nach Hause gekommen war. Ich wurde verhaftet. Meine Familie hat gute Beziehungen und so kam ich schnell wieder frei. Ich schwöre Ihnen, ich habe keiner meiner Frauen nie auch nur ein Haar gekrümmt, geschweige denn sie umgebracht. Es ist wie ein Fluch. Leila habe ich absichtlich heimlich und in aller Stille geheiratet. Meine Familie weiß bis jetzt nichts von ihr. Verstehen Sie, niemand wusste etwas von ihr oder der Schwangerschaft bis auf …“,
Rafael kratzte sich unsicher am Hals, schüttelte leicht den Kopf, als wäre das, was er gerade dachte völlig abwegig. Dann sagte er leise: „… bis auf Aleida.“
Juri hatte gebannt der Geschichte gelauscht, während Sam Rafaels Gestik und Mimik genau beobachtete. Er konnte nicht sagen, dass er ihm nicht glaubte. Die Geschichte war glatt und der Mann vor ihm wirkte so unschuldig wie ein Neugeborenes.
Drei tote Frauen und eine, die nie wieder aufgetaucht war. Wenn Sam richtig gerechnet hatte, lagen dazwischen siebenundzwanzig Jahre. „Gibt es sonst noch Todesfälle, beziehungsweise ungeklärte Morde rund um Ihre Familie?“, fragte er.
Rafael verneinte kopfschüttelnd.
„Wer ist Aleida?“
„Unsere Hausangestellte seit vierzig Jahren. Sie betet täglich für uns und liebt uns alle wie ihre eigenen Kinder.“
Sam war hin- und hergerissen. Seine innere Stimme sagte ihm, dass der Mann die Wahrheit sprach, aber konnte er seinen Instinkten zurzeit trauen? Vielleicht hatte Rafael Rodriguez seine eigene Geschichte über die Jahre hinweg so internalisiert, dass er sich selbst und andere davon überzeugt hatte, unschuldig zu sein. Solche Psychopathen bestanden auch einen Lügendetektortest.
Zwischen den Zeilen hatte Sam herausgehört, dass Rafael Rodriguez’ Familie so einflussreich sein musste, dass ihm deshalb nicht der Prozess gemacht worden war.
Er gab Juri ein Zeichen und sie gingen nach draußen. „Was meinst du, Juri? Daumen hoch oder runter?“
Juri stieß einen lauten und gequälten Seufzer aus. „Ich weiß es nicht, keine Ahnung. Ich meine, warum sollte jemand den Mann siebenundzwanzig Jahre lang quälen und seine Frauen töten. Hört sich nach einem schlechten Horrorfilm an.“
„Siebenundzwanzig Jahre. Das würde bedeuten, unser Mörder wäre um die fünfzig. Wir suchen aber einen jungen Mann, zumindest nach der Beschreibung von Harry Steiner.“
„Oder er ist gar nicht mit dem Mörder zusammengestoßen, sondern nur mit irgendeinem anderen Gast des Hotels“, überlegte Juri laut.
„Wir haben vergessen, ihn das Wichtigste zu fragen. In Südamerika tragen ja die Eltern oft unterschiedliche Namen. Vielleicht hat ja sein Vater auch einen Doppelnamen und einer davon stand auf dem Foto.“
Juri öffnete die Tür und fragte Rafael nach dem Namen seines Vaters, dann schloss er die Tür wieder und sagte: „Diego Rodriguez Guerra.“
„Würde es Sinn machen, dass er auch bei dieser arischen Organisation war. Rafael ist blond, hat blaue Augen. Hat er die Gene seines Vaters, einem Nazi, der sich vielleicht umbenannt hat und in Kolumbien untergetaucht ist? Er wäre nicht der Einzige. Geh noch mal rein und frag ihn, ob sein Vater blond ist. Wir sehen uns gleich unten in der Kantine.“
Auf dem Weg zur Kantine informierte Sam, Estelle Beauchamp über den neuesten Stand der Dinge. Sie hatten nichts weiter in der Hand, keinen weiteren Tatverdächtigen. Rafael Rodriguez konnte Katarin Gromowa nicht getötet haben. Er war zum Zeitpunkt nicht in Paris und für den Mord an seiner Frau hatte er leider auch ein Alibi: Judith Weinmann.
„Was schlagen Sie also vor, Sam? Was soll ich Brenner sagen?“
Sam gab es nur ungern zu, aber er
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