Orchideenstaub
zurückzugehen. „Also, Señor Rodriguez, es gibt da ein paar Ungereimtheiten“, begann er. „Sie sagten, Ihre Frau hätte nur einen Ring am Finger getragen.“
Rafael Rodriguez nickte bestätigend. Als Sam ihm jedoch erklärte, dass seine Frau aber zusätzlich noch ein paar Diamantohrringe trug und eine Choparduhr umhatte, und zwar dieselbe, die man der Toten in Paris abgenommen hatte, sah Rafael so aus, als wäre er der deutschen Sprache nicht mehr mächtig.
„Das kann nicht sein“, sagte er verwirrt. „Sie müssen sich irren.“
„Wir haben die Seriennummer überprüft. Es gibt keinen Zweifel.“
Rafael Rodriguez erfasste zunächst nicht die Bedeutung dieser Worte, dann lief sein Gesicht rot an. „Also, Sie denken dass ich …?! Ich will sofort einen Anwalt haben!“
Sam ignorierte Rafaels Wunsch und fragte ihn stattdessen über seine Eltern aus. Schließlich stellte er die entscheidende Frage: „Ist Ihr Vater Arzt?“
„Ja. Beziehungsweise war Arzt. Er übt seinen Beruf nicht mehr aus,“ sagte Rafael, als Juri durch die Tür schlüpfte und Sam mit einem Kopfschütteln zu verstehen gab, dass der Anruf bei Frau Thiel nicht erfolgreich gewesen war.
„Was für ein Arzt?“
„Allgemeinarzt“, antwortet Rafael.
Eine enttäuschende Antwort für Sam, der gerne etwas anderes gehört hätte. „Kein Gynäkologe?“
„Wie ich bereits sagte, Allgemeinarzt. Ich lebe nicht im Busch. In Kolumbien studiert man genau wie überall auf der Welt und praktiziert das, was man gelernt hat und nichts anderes.“
Sam war plötzlich mulmig zumute, schwarze Flecken tanzten vor seinen Augen. Er gab seinem Partner ein Zeichen weiterzumachen, setzte sich auf einen Stuhl in der Ecke und hörte Juri bei der weiteren Befragung aufmerksam zu.
„Sie haben gesagt, dass Sie Gedichtbände sammeln. Vielleicht können Sie uns sagen, von wem dieses hier geschrieben wurde.“ Juri legte die zusammengelegten Verse gut lesbar vor Rafael auf den Tisch.
Während der Kolumbianer Zeile für Zeile las, folgte Sam der Bewegung seiner Augen, aber er konnte keine verräterischen Anzeichen erkennen. Als Rafael fertig war, sagte er bestimmt: „Tut mir leid, den Dichter kenne ich nicht.“
„Sie haben die Gedichte also nicht selbst geschrieben?“
Ein sarkastisches Lachen erfüllte den Raum. „Ich wäre froh, wenn ich so schreiben könnte“, erwiderte Rafael.
„Wir haben bei jedem Opfer ein Verslein gefunden, nur bei Ihrer Frau hat man sich mehr Mühe gegeben. Sie war es wert, noch ein ganzes Gedicht hinzuzufügen. Warum meinen Sie, ist das so?“
Rafael zuckte mit den Schultern und sah unsicher zur Seite. Sam registrierte diesen Blick. Er hatte das Gefühl, dass Rafael sich gerade an etwas Bestimmtes erinnerte. Er stand auf, öffnete die Fenster und ließ frische kalte Luft ins Zimmer.
„Ach, und da ist noch etwas. Die rote Farbe, mit der man die Gedichte geschrieben hat, ist Blut“, erklärte Juri und machte absichtlich eine längere Pause, bis er zum Endhieb ansetzte. „Ihr Blut, Señor Rodriguez.“
Rafael musterte Juri und verzog keine Miene. Die Sekunden dehnten sich ins Unendliche. Er sah zu Sam, der mit verschränkten Armen am Fenster stand, dann wieder zu Juri. Sein Mund ging auf und zu, suchte verzweifelt nach Worten. „Wie kann das sein?“, brachte er schließlich hervor.
„Genau das wollen wir von Ihnen hören.“
„Nun, keine Idee?“, fragte Sam und sah Rafael abschätzend an.
„Na ja, mir wird wohl kaum ein Vampir in der Nacht Blut ausgesaugt, und anschließend damit die Gedichte geschrieben haben.“
„Das Märchen würde ich Ihnen auch nicht abkaufen“, entgegnete Sam ruhig und wartete auf eine glaubwürdigere Erklärung. Als keine kam, sagte er: „Na schön, dann überlegen wir doch gemeinsam, wie Ihr Blut aufs Papier gekommen ist. Sie sind seit zwei Wochen in Europa. Haben Sie sich irgendwo verletzt? Waren Sie im Krankenhaus? Hat man Ihnen irgendwo Blut abgenommen?“
„Nein, nichts von alledem. Ich habe vor zwei Monaten einen Totalcheck in Medellin gemacht. Das mache ich jedes Jahr. Dabei hat man mir das letzte Mal Blut abgenommen.“
Sie hatten die Bordkarten und die Hotels überprüft. Rafael Rodriguez war beim zweiten Mord an Katarin Gromowa definitiv nicht in Paris gewesen. Bei Frau Rewe hatte man ein dunkelblondes Haar gefunden, aber auch das stammte nicht von Rafael Rodriguez und seine Fingerabdrücke waren an keinem Tatort gefunden worden.
Anstatt endlich einer Lösung des
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