Orcs ante Portas
wütend herum, die Hand am Schwertgriff. Der Hüne, der mir gegenübersteht, hat langes blondes Haar, einen buschigen grauen Bart und eine Narbe, die von der Schläfe bis zum Kinn über sein Gesicht läuft.
»Viaggrax!«
»Thraxas, du Hund! Willst du dich auch für den Kampf verdingen?«
»Viel schlimmer. Ich lebe hier.«
»Du lebst hier?«
»Das ist noch nicht alles«, erkläre ich. »Die Kaschemme gehört Ghurd!«
»Die Kaschemme gehört Ghurd?«
Viaggrax grölt vor Lachen und versetzt mir einen weiteren freundschaftlichen Schlag auf die Schulter. Ich schlage zurück.
»Schön, dich zu sehen!«
Viaggrax ist ein Söldner von irgendeiner gottverlassenen Insel aus dem eisigen Norden. Ich habe mit ihm zusammen viele Kämpfe ausgefochten. Zwar habe ich ihn jetzt seit etwa zwölf Jahren nicht mehr gesehen, aber er scheint sich nicht sonderlich verändert zu haben. Er ist nur an allen Ecken und Enden etwas grauer geworden. Mit der Streitaxt, die er sich auf den Rücken geschnallt hat, könnte er gut und gerne ein Pferd mit einem Schlag in zwei Hälften teilen. Und seinen großen, eisernen Schild trägt er lässig über der Schulter. Als er Ghurd erblickt, stößt er ein Brüllen aus, das mühelos den Krach in der Kaschemme übertönt. Ghurd sieht sich um und grinst sein freudiges, schiefes Grinsen, als er auf uns zukommt.
»Du führst dieses Gasthaus?«, erkundigt sich Viaggrax.
»Das tue ich«, erwidert Ghurd.
»Wo bleibt dann das Bier?«, brüllt Viaggrax. Ich kann mich wieder daran erinnern, dass er wahrlich kein Freund von leisen Tönen ist.
Viaggrax wirft einen Blick zum Tresen und zieht eine seiner buschigen grauen Brauen hoch, als er Dandelions ansichtig wird. Aus irgendwelchen Gründen ist sie heute auf die Idee gekommen, sich ein Band aus Blättern ins Haar zu flechten. Was sowohl der gängigen Mode als auch jedes gesunden Menschenverstandes spottet.
»Was ist denn das?«
»Eines meiner Schankmädchen«, gibt Ghurd entschuldigend zu. Er zuckt zusammen, als Dandelion in diesem Moment hinter dem Tresen hervortritt und ihr nicht vorhandenes Schuhwerk vorführt. Bevor Viaggrax einen Kommentar darüber ablassen kann, tänzelt Makri in ihrem winzigen Kettenhemd-Zweiteiler mit einem Tablett voller Getränke auf dem Arm an ihm vorbei. Viaggrax fällt fast der Kiefer herunter, als er ihre kupferfarbene Haut und ihre spitzen Ohren sieht.
»Sind die Orks etwa schon da?«
»Das ist meine Kellnerin.« Ghurd windet sich sichtlich verlegen.
»Bei allen nordischen Göttern, du führst wirklich eine merkwürdige Kaschemme, Ghurd. Mädchen ohne Schuhe und Orks ohne Klamotten!« Viaggrax schlägt sich auf den Schenkel und brüllt vor Lachen. »Das hat man davon, wenn man in der Stadt lebt! Das ist kein Platz für einen Mann! Wo bleibt mein Bier? Ich habe einen mächtigen Durst nach der langen Reise!«
Ghurd ruft Dandelion seine Bestellung zu und räumt uns einen Tisch frei. Wir setzen uns, reden über den Krieg und tauschen Geschichten von früher aus. Drei oder vier Krüge Bier später sind wir tief in Erinnerungen versunken.
»Weißt du noch, diese Juvalianer, die uns beim Kartenspiel betrügen wollten? Denen haben wir’s aber gegeben!«
»Oder damals, als Thraxas in eine Schlucht gefallen ist und wir ihn zwei Tage lang nicht finden konnten?«
»Er wollte nicht um Hilfe rufen, weil er das ganze Essen bei sich hatte. Ich schwöre dir, er ist nur zu gern in diesem Loch geblieben, bis ihm das Essen ausging!«
»Da unten war es jedenfalls sicherer als an der Front mit euch! Viaggrax, du hängst zurück. Ihr Nordländer konntet beim Bier noch nie mithalten!«
»Was?«, bellt Viaggrax, leert seinen Krug und knallt ihn auf den Tisch. »Ich werde euch zeigen, wie ein Nordländer zu trinken versteht! Mehr Bier!«
Einige Stunden später habe ich Senator Lohdius vollkommen vergessen. Genau genommen habe ich so ziemlich alles vergessen und bin so wohlgemut wie ein Elf in seinem Baum. Ich stimme eine laute Darbietung des Trinkliedes der turanianischen Bogenschützen an. Ich war zwar nie ein Bogenschütze, aber es ist trotzdem ein sehr schönes Lied, mit einer eingängigen Melodie und einem Refrain, der es erfordert, mächtig mit den Krügen auf dem Tisch herumzuhämmern. Ich bin gerade bei der Strophe angekommen, in der die feindlichen Drachen mit unseren mächtigen Pfeilen vom Himmel geschossen werden und donnernd auf dem Boden landen, als die Tür der Kaschemme aufschwingt und ein Bote mit einem noch
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