Ordnungszahl 120
Wäsche gewechselt, als das Bildsprechgerät zu summen begann.
Von einer dunklen Vorahnung ergriffen, drückte ich den Schalter nieder. Sofort erschien auf der handgroßen Bildfläche das Gesicht eines älteren Mannes. Da er keine Maske trug, konnte er nicht zum aktiven Stab der GWA gehören.
»Captain HC-9«, meldete ich mich mit meiner Kodenummer.
»Dr. Filus«, entgegnete der Mann. Er trug einen weißen Kunststoffkittel. »Befehl von General Reling, Captain. Sie haben sich sofort in der Klinik einzufinden. Sie werden von einem Kollegen erwartet. Ende.«
Der Arzt schaltete ab. Sekundenlang stand ich regungslos vor der blind gewordenen Mattscheibe. Das war wieder einmal ein kurzer und eindringlicher Befehl gewesen. In diesem Augenblick ahnte ich bereits, daß eine neue Aufgabe bevorstand, denn umsonst war ich bestimmt nicht in die Klinik beordert worden. Bei der GWA gab es keinen Leerlauf.
Automatisch ergriff ich meine Schirmmütze. Dann eilte ich auf den Gang hinaus.
Weshalb hatte mich der Chef zur Klinik befohlen?
2.
Ich war allerhand gewohnt und hatte auch schon viel gesehen, doch als ich ihn auf dem Operationstisch liegen sah, mußte ich gegen die aufsteigende Übelkeit ankämpfen.
Im Vorbereitungszimmer hatte mir eine Schwester einen sterilen Kittel über die Uniform gestreift.
»Der Patient ist nicht mehr zu retten, Sir«, hatte sie auf meine Frage entgegnet.
Mein erster Blick galt dem Mann auf dem hell erleuchteten OP-Tisch. Zwei Mediziner standen davor und überwachten den Vorgang, der den Patienten noch einige Zeit am Leben erhalten sollte. Soeben führte Dr. Filus einen transparenten Kunststoffschlauch in die Lunge des Verwundeten ein.
Der Brustkorb war geöffnet. Ich mußte mich gewaltsam zusammennehmen, um bei diesem Anblick nicht ohnmächtig zu werden.
Ich wandte den Blick ab und sah zu den beiden Assistenten hinüber, die aufmerksam den Arbeitsrhythmus der künstlichen Lunge und des Snider-Münch-Gerätes kontrollierten. Im allgemeinen Sprachgebrauch nannte man es künstliches Herz. Der Blutkreislauf war von den natürlichen Organen getrennt worden. Sie waren zerstört.
Der Kreislauf mit der lebenswichtigen Funktion der Sauerstoffversorgung oblag ausschließlich den modernen Geräten des Jahres 2002.
Ich sah den pulsierenden Blutstrom durch die Leitungen fließen, die durch neuartige Gewebeklebstoffe mit den Adern verbunden waren.
Dr. Filus warf mir einen kurzen Blick zu.
»Beherrschen Sie sich, Captain. Sehen Sie möglichst nicht auf die Lungen. Der Mann hat eine explosive Dekompression erlitten. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu erklären, wie sich ein plötzlicher Druckverlust auf die inneren Organe auswirkt.«
Ich bemerkte den hohen Offizier, der am Kopfende des OP-Tisches stand. Er trug auf dem linken Ärmel das Symbol der GWA, das schimmernde Atommodell. Aus seinen Rangabzeichen ging hervor, daß es sich, um einen Viersterne-General handelte.
Der Alte hatte nicht einmal einen sterilen Kittel übergezogen. Sein kantiges Gesicht verriet die innere Anspannung. Breitbeinig, die Hände auf dem Rücken verschränkt, stand er bewegungslos vor dem Verletzten. Nur seine Augen schienen zu leben.
»Kommen Sie, Captain«, forderte er mich auf. Seine Stimme klang monoton.
Ich trat an seine Seite. Dicht neben uns arbeitete das Snider-Münch-Gerät, an dem das Leben eines Mannes hing, der praktisch schon tot gewesen war, als er eingeliefert wurde.
General Reling trug keine Maske. In seinem Fall war das auch nicht erforderlich. Er war der einzige Mann, der alle GWA-Schatten persönlich kannte. Nur er war befugt, die Einsatzbefehle zu erteilen.
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