Organic
wollen sich doch nicht etwa einen Kurztrip ins sonnige Florida entgehen lassen?“
„Herzblatt, das würde meiner Frisur einfach nicht bekommen.“ Sie legte den Umschlag zurück auf den Schreibtisch und verschränkte die Arme vor der Brust. „Und außerdem habe ich das Gefühl, ich werde mit etwas beschäftigt sein, das mit dem Ordner da in Ihrer Hand zu tun hat.“
Er seufzte und rutschte auf seinem Stuhl herum. Dann reichte er ihr die Akte und sagte: „Mit etwas in der Art haben wir nicht gerechnet.“
„Das hört sich nicht gut an.“ Sie sah ihn forschend an, um herauszufinden, wie ernst das Problem sein mochte. Für einen Moment ließ sie ihn den Ordner hochhalten, dann griff sie danach und öffnete ihn so entschlossen, wie man ein Pflaster abriss.
Zuerst verstand sie nicht, worauf sie schaute. Das Formular sah altertümlich aus, schlecht gedruckt und mit blauem Kugelschreiber ausgefüllt. Sie konnte sogar den Abdruck des Stiftes auf dem Papier sehen. Ihr Blick überflog die Schrift: „Kehle aufgeschlitzt“, „zahlreiche Wunden“. Da merkte sie, dass sie einen Ermittlungsbericht in der Hand hielt – und zwar das Original, keine Kopie –, der den Mord an Zachary Kensor betraf. Daran geheftet war eine Kopie mit Fingerabdrücken. Dieses Formular erkannte sie sofort. Alle Bundesangestellten mussten ihre Fingerabdrücke beim Justizministerium hinterlegen. Dort gab es ein ähnliches Dokument mit ihren eigenen Fingerabdrücken.
„Also haben sie am Tatort Fingerabdrücke gefunden?“, fragte sie und starrte wie gebannt auf den Namen über den Abdrücken. Vielleicht musste sie einfach nur zwinkern, und der böse Traum war vorbei. Sie musste sich setzen. Stattdessen lehnte sie sich gegen den Schreibtisch.
„An den Blättern der Speisekarte des Zimmerservice“, sagte Colin, aber er schien keineswegs befriedigt, dass er recht behalten hatte. „Alles andere war sorgfältig abgewischt, aber die Innenseiten vergisst man leicht.“
„Und es gibt keinen Zweifel, wessen Abdrücke es sind?“ Sie wusste nicht, warum sie das überhaupt fragte. Wunschdenken vielleicht. Sie wollte sich verbessern, bevor er antworten konnte. „Ich will nur wissen, wie zuverlässig die Quelle ist, der zufolge sie identisch mit diesen sind.“ Aber sie wusste die Antwort längst.
„Akten des Justizministeriums.“
„Ich hatte befürchtet, dass Sie das sagen würden.“ Sie schob sich um den Schreibtisch und ließ sich in ihren Lederstuhl fallen. Den festen Griff um den Ordner und seinen Inhalt lockerte sie nicht. Ihre Blicke trafen sich, und sie konnte sehen, dass er dasselbe dachte wie sie. Dass es eher um einen Fluch ging als um einen Segen. „Wie viel Zeit lassen sie uns dafür?“
„Ich könnte vermutlich ein oder zwei Tage herausschlagen.“
In drei Tagen begann der Energiegipfel.
„Achtundvierzig Stunden“, sagte sie. „Ich brauche achtundvierzig Stunden.“
38. KAPITEL
EcoEnergy
Niemals hätte Sabrina William Sidel für einen Mann gehalten, der an den Fingernägeln kaute. Er hatte vielleicht ein bisschen Schmutz darunter, aber sie waren sicher nicht abgebissen. Sie konzentrierte sich auf seine Hände, die riesigen Knöchel und die plumpen Finger, an denen zwei Ringe steckten, ein Ehering und ein protziger Ring am kleinen Finger. Mit den Händen unterstrich er seine Worte, mal markierte er ein Satzende mit einem Punkt in der Luft, mal ließ er einen Satz mit einer Bewegung der Hand ausklingen. Er erklärte, Dwight Lansik habe gekündigt, plötzlich und ohne Ankündigung, „einfach so“.
„Aber ich will Sie alle damit nicht weiter behelligen“, sagte er mit seinem charmanten Südstaatentonfall. Schon vor ein paar Tagen war Sabrina aufgefallen, dass er denselben Tonfall eingesetzt hatte, als der Investor aus Omaha wegen des Energieverbrauchs von EcoEnergy nachgebohrt hatte.
„Ich bin sehr zufrieden mit der Arbeit, die Sie alle leisten. Ich bin mir bewusst, dass hier ein großartiges Team am Werk ist“, fuhr er fort. „Und ich kann Ihnen bereits jetzt mitteilen, dass ich eben deshalb niemanden von außerhalb holen werde, um Dr. Lansik zu ersetzen.“
Sabrina warf Pasha einen verstohlenen Blick zu, der zustimmend nickte. Annas Lächeln dagegen war ein wenig gezwungen. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Als Sabrina O’Hearn ansah, spürte er ihren Blick und hob die Augenbrauen, als wollte er sagen: „Ist dieser Kerl nicht grauenvoll?“
„Ich möchte Sie wissen lassen, dass ich bei dieser
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