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ihren Herzschlag spürte. Eine sanfte, kühle Brise wehte über das Wasser herüber.
„Was machen wir denn jetzt?“, fragte sie so leise, dass sie nicht sicher war, ob er sie gehört hatte.
„Wir finden heraus, wer der Feind ist“, erklärte er ruhig und ohne einen Anflug von Wut. „Und dann machen wir den Scheißkerl fertig, bevor er dich kriegt.“
Seine Worte überraschten sie. Sie nahm den Kopf von seiner Schulter, um ihn ansehen zu können. Er schaute weiter auf das schwarze Wasser, sodass sie nur sein Profil betrachten konnte. Ein Lichtschimmer fiel darauf, als vorbeiziehende Wolken den Mond freigaben.
„Glaubst du, es ist William Sidel?“, fragte sie, aber sie kannte die Antwort bereits. Wer sonst sollte sie tot sehen wollen und dann, als das misslang, die Macht haben, die Polizei glauben zu machen, sie sei die Täterin und nicht das Opfer? Wer sonst konnte dafür sorgen, dass Dwight Lansik in einen Tank mit Schlachthofabfällen gestoßen wurde und danach vorgeben, sein Mitarbeiter habe einfach gekündigt?
„Er hat Zugang und definitiv ein Motiv. Und es hört sich so an, als besäße er auch den nötigen politischen Einfluss.“
Sabrina rieb sich die Augen und fuhr sich mit den Händen durchs Haar. Sie konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, wie es war, nicht völlig erschöpft zu sein. Ihre Augenlider schmerzten, und sie wusste, dass sie viel zu wenig getrunken hatte. Selbst ihre Füße schienen zu protestieren. Sie war es einfach nicht gewohnt, in Flipflops herumzulaufen. Ihre innere Uhr, die sie über die Jahre zu einer strengen Tagesroutine diszipliniert hatte, war völlig durcheinandergekommen. Wieder war sie an einem Ort, den sie nicht kannte, umgeben von Leuten, die sie gerade erst kennengelernt hatte – eine schräge Ansammlung von Gestalten, die ihr Bruder für vertrauenswürdig hielt. Vertrauenswürdig, sie vor ihrem Chef zu beschützen, der sie umbringen lassen wollte. Und warum? Weil William Sidel Abfälle der Stufe zwei verarbeitete, ohne das Geld in die notwendige Prozessentwicklung investieren zu wollen.
„Es ergibt einfach keinen Sinn“, sagte Sabrina. „William Sidel hat Millionen Dollar von seinen Investoren bekommen. Er hat Millionen Dollar staatlicher Zuschüsse eingestrichen. Er steht kurz vor dem Abschluss eines Vertrages über hundertvierzig Millionen Dollar. Wieso sollte er das alles aufs Spiel setzen, indem er Abfälle der Stufe zwei verarbeitet?“
„Was sind Abfälle der Stufe zwei?“, fragte Eric. Er zog die Beine an und wandte sich Sabrina zu.
„Verschiedene Metalle, überwiegend Altmetall. Plastik, PVC, Holz, Glasfaser. Plastikflaschen können eine ganze Menge Erdöl enthalten. Das Problem mit diesem Abfall ist aber, dass die Aufspaltung erst in einem zweiten Schritt erfolgt und dass ein zusätzlicher Spülvorgang nötig ist. Der Wasserstoff im Wasser bindet das Chlor im PVC und andere Stoffe. Daher ist es sicher. Wenn man das aber nicht ordentlich macht, erhält man Dioxine, die hochgradig toxisch sind. Beim Abfall der Stufe eins, also dem Schlachthausabfall, läuft der ganze Prozess viel organischer ab. Da kommen zwar jede Menge Stickstoff und Aminosäuren ins Spiel, aber die können wir abscheiden und für Flüssigdünger verwenden.“ Sabrina fiel plötzlich auf, wie sehr sie das Reden über ihre Arbeit und die Abläufe beruhigte. Sie schaute Eric in die Augen, um zu sehen, ob es ihm auffiel. Manchmal verlor sie sich in ihrem Fachgeschwafel.
„Aber wenn Abfall der Stufe zwei mehr Produktionsschritte verlangt und mehr Arbeit macht, wieso sollte man es dann überhaupt versuchen?“
„Deswegen meinte ich ja, dass das Ganze keinen Sinn ergibt.“
„Noch eines: Wie viel bekommt denn EcoEnergy dafür, dass Schlachthausabfälle angenommen werden?“
„Wir zahlen sogar dafür. Fünfundzwanzig Dollar pro lonne.
„Machst du Witze?“
Sie schüttelte den Kopf. Natürlich klang es auf den ersten Blick merkwürdig. „Wir stehen in Konkurrenz zu Firmen, die es vollständig zu Düngemittel verarbeiten.“
„Okay. Und wie viel kostet es, Stufe-zwei-Abfall überhaupt an Land zu ziehen?“
„Dafür würde EcoEnergy sogar noch Geld bekommen.“
„Und wie viel?“ Eric setzte sich auf.
„Das weiß ich nicht genau. Wir haben es noch nie gemacht, daher haben wir es auch nicht kalkuliert.“
„Aber eine gewisse Vorstellung musst du doch haben?“
„Nach den Hurrikanen hieß es, die Bundesregierung und die Bundesstaaten würden pro Tonne Schutt bis
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