Organic
„Sollte das ein Scherz sein?
Im ersten Moment war Eric unsicher, ob sie nur sarkastisch sein wollte. Dasselbe todernste Gesicht hatte sie bei einer ihrer Comedy-Einlagen aufgesetzt, um Wut vorzutäuschen, auf die dann die allerwitzigste Pointe folgte.
„Was ist das?“, wollte Howard wissen.
„Das ist ein schlechter Scherz, stimmt’s?“, sagte Bosco wieder, und diesmal war Eric klar, dass sie stinksauer war.
„Sabrina hat das einem Abflussrohr entnommen“, erklärte er, um Howards Frage zu beantworten.
Bevor er den Plastikbeutel vom Tisch nehmen konnte, hatte Sabrina danach gegriffen und den Inhalt befingert, als sähe sie ihn zum ersten Mal. „Es müsste eigentlich klares Abwasser sein. Aber das hier“, sie sah auf und die entnervte Laborantin an, „das wurde in den Fluss geleitet.“
„Na, das ist ja super“, rief Bosco und warf erregt die Hände in die Luft. „Das ist ja echt super!“
„Was ist es denn nun?“, wollte Eric wissen.
„Okay, da hätten wir eine einfache Hühner-DNA mit ein bisschen Metall, Stahl oder was davon übrig ist, irgendeinen Kunststoff und jede Menge Dioxin-Rückstände.“
„Das habe ich befürchtet“, sagte Sabrina. Sie hob den Beutel hoch, drehte ihn hin und her und betrachtete ihn so genau, als könne sie jeden einzelnen Inhaltsstoff identifizieren.
„Oh, aber das war noch nicht alles.“ Bosco sah Eric an. „Ich habe im Kriminallabor von L.A. aufgehört, damit ich mit diesem Mist nichts mehr zu tun habe.“
„Wovon redest du?“ Eric machte ihr Theater allmählich ungeduldig.
Bosco schaute von Eric zu Sabrina und wieder zurück zu Eric. „Jetzt erzähl mir nicht, dass keiner von euch wusste, dass das meiste in der Tüte menschliches Gewebe und menschliches Blut ist?“
78. KAPITEL
Sabrina konnte es kaum fassen. Aber die ganze Zeit über, während die Frau, die Eric Bosco nannte, die Liste der Inhaltsstoffe durchging, hatte Sabrina durch die Beutelwand eine Metallplatte erfühlt und versucht, sie besser sehen zu können. Noch bevor Bosco bei den menschlichen Inhaltsstoffen angekommen war, hatte sie zwischen Kratzern und Schrammen eine Gravur auf dem Teil ertastet, was möglicherweise die Rückseite einer Armbanduhr war. Es sah aus wie etwas auf Latein über einer Reihe anderer Buchstaben. Aber nur die Buchstaben D und W konnte sie entziffern, dann weitere Kratzer, ein einzelnes L und schließlich die Buchstabenfolge SIK.
Anna Copello war in einem Spülwassertank gestorben. Konnte es sein, dass Dwight Lansik in einen Behälter mit Schlachthausabfällen gestoßen worden war? Noch vorgestern hätte sie über eine solche Vermutung nur gelacht. Aber jetzt wurde ihr plötzlich klar, dass sie auf die Überreste ihres verstorbenen Chefs schaute.
Plötzlich warf sie den Beutel von sich und sprang vom Tisch auf, wobei sie ein paar Stühle umwarf. Sie hörte Eric noch „Bree!“, rufen, aber sie wollte nur mit frischer Luft gegen ihren Brechreiz ankämpfen.
Sie lief zum Pier hinunter, sah auf das schwarze Wasser und hinüber zu den blinkenden Lichtern der Häuser auf der anderen Seite der Bucht. Sie hörte, wie die Wellen gegen die Boote am Anleger schlugen. Alles schien sich zu bewegen, und ihr wurde schwindelig. Sie griff nach einem Pfahl und ließ sich daran nach unten rutschen. Dann spürte sie Erics Anwesenheit und war dankbar, weil er schwieg. Keine weiteren Fragen. Keine weiteren Erklärungen.
Sie zog die Knie an die Brust, legte ihre Arme darum und das Kinn obendrauf. Sie wartete, dass ihr Magen sich beruhigte und das Pochen in ihrem Kopf aufhörte.
Irgendwann saß er neben ihr, und sie sah seine langen Beine über die Pier baumeln. Er saß so nahe, dass seine Schultern Sabrinas berührten, aber das war ihr einziger Kontakt. Sabrina wurde klar, wie sehr er ihrem Vater ähnelte. Er fand keine Worte oder Gesten des Trostes. Er hatte nur seine Anwesenheit und seine Taten zu bieten. Das war normalerweise der Moment gewesen, in dem es Eis mit Karamellsoße gab. Und das hatte ihre Mutter meistens noch mehr in Rage gebracht, manchmal noch mehr als die eigentliche Ursache ihres Gefühlsausbruchs.
„Eine Frau muss manchmal einfach umarmt werden“, erklärte sie dann ihrem Mann, der dem umgehend Folge leistete, als habe er auf diese Aufforderung nur gewartet.
Sabrina lehnte den Kopf gegen Erics Schulter und schloss die Augen. Allmählich ließ der Drang nach, ihren Mageninhalt von sich zu geben. Das Pochen in ihrem Kopf wurde schwächer, bis sie nur noch
Weitere Kostenlose Bücher