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Orient-Express (German Edition)

Orient-Express (German Edition)

Titel: Orient-Express (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dos Passos
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Wein getrunken, der Kellner sprach Französisch, ich konnte damals noch kein Deutsch, er war sehr liebenswürdig. Als ich fertig war, fragte er, ob ich noch etwas wünsche. Ich habe, ohne es recht zu bedenken, spontan gesagt: ‹ Ja, eine Mademoiselle.› Der Kellner lächelte und sagte, er wolle sehen, was sich machen ließe. Ich dachte, er macht einen Scherz, ging auf mein Zimmer, wollte mich schlafen legen. Als ich halb ausgezogen bin, wer kommt? Der Kellner. Er sagt, dass die Mademoiselle mich unten im Foyer erwartet. Ich sagte: ‹Schicken Sie sie hoch›, aber der Kellner meinte, das ginge nicht. Und das ist der ganze Unterschied zwischen orientalischen und europäischen Frauen. Also habe ich mich wieder angekleidet und bin hinuntergegangen. Ich war so unerfahren, aber die Mademoiselle war äußerst charmant und führte mich in ein Cabaret, wo wir Champagner tranken, es gab Musik. Ich habe viel von ihr gelernt ... Ah, quelle commodité!»

4. Die weißen Wanzen von Mianeh
     
    Ab Turkomanchay gab es keine nennenswerte Straße. Der Wagen rumpelte über felsige Anhöhen, wechselte urplötzlich die Richtung, hüpfte wie ein Floh über Abgründe, donnerte über Bergkämme, stürzte in steinerne Hohlwege, und ständig rechneten wir damit, dass unser Vehikel im nächsten Moment kollabieren würde. An einer verlassenen Karawanserei der Schah-Abbas-Variante kam uns ein Wegwächter entgegen, ein rothaariger, ziemlich übel aussehender Riese, der uns erklärte, dass in der Nacht zuvor ein Reisender genau an diesem Ort von Räubern der Länge nach aufgeschlitzt worden sei. Wir gaben dem Mann zwei Kran, worauf er sich entfernte. Die glühende Sonne knallte uns ins Gesicht, die Melonen waren alle aufgegessen, der Wasserkrug war zerbrochen, und nirgendwo sahen wir eine Menschenseele. «Quel théâtre!», seufzte der Sajjid bei jedem Schlagloch.
    «Précautions. Toujours des précautions», rief der Sajjid refrainartig, während er die Säuberung des Daches der Karawanserei vor den Toren von Mianeh überwachte, einer Stadt, die berühmt ist für ihre Fliegen, ihre Stechmücken, ihre Moskitos und vor allem für ihre weißen Wanzen, die ein spezielles Fieber übertragen, das Mianeh zu Berühmtheit in den Annalen der Medizin verholfen hat.
    Am Nachmittag erwehrten wir uns der Fliegen und tranken Tee und diskutierten über Politik. Persien solle die europäische Durchdringung von Ländern unterstützen, mit denen es keine gemeinsame Grenze hat, aber mit Misstrauen seine beiden großen Nachbarn beobachten. Das erkläre die deutschfreundliche Haltung von Demokraten und Nationalisten während des Krieges. «Bislang hat uns geschützt, dass England und Russland sich nicht einigen können. Nach Kriegsbeginn waren sie sich eine Weile einig, das bekamen wir zu spüren, rücksichtslos haben sie auf uns herumgetrampelt ... Aber sie kennen uns nicht. Sie wissen nicht, was wir vorhaben, und wir werden es ihnen nicht verraten. Dies ist der Moment, unsere Unabhängigkeit zu behaupten. Dafür brauchen wir Kapital und ausländische Hilfe, aber nicht von unseren Nachbarn, sondern von Ländern, die nicht involviert sind ... Aber wir müssen langsam vorgehen, vorsichtig und verschwiegen, toujours avec précautions, avec beaucoup de précautions ...» Der Sajjid runzelte das Gesicht zu einem Ausdruck von geradezu übermenschlicher Raffinesse, wischte sich eine Fliege von der Stirn und sagte abschließend: «Diplomatik!»
    In dieser Nacht wurde der Beginn des Muharram gefeiert, des Monats der Trauer um Hossein, den großen schiitischen Märtyrer. Die Moskitos und Sandfliegen waren so aufdringlich, dass an Schlaf nicht zu denken war. Der Sajjid lag bedrückt in einer desinfizierten Ecke, dachte sorgenvoll an lauernde Wanzen und stöhnte von Zeit zu Zeit «Quel théâtre!» auf die erbärmlichste Weise. Ich bedeckte Kopf und Gesicht mit einem Tuch, ging auf einem Balkon auf und ab, rauchte und sah dem guten alten Orion zu, wie er langsam am Himmel emporstieg. Aus der Stadt drang Trommelwirbel heran und in atemlosem, stetigem Rhythmus der Ruf «Hossein, Hassan, Hossein, Hassan». Dazwischen ohrenbetäubendes Hundegebell. Die Luft im Innenhof roch unangenehm faulig, und ich hörte die Schellen unserer Pferde, die sich der Mücken erwehrten, und das Stampfen einer Menschenmenge, die sich im Gleichschritt bewegte und mit der ganzen kraftvollen Inbrunst des Islam «Hossein, Hassan, Hossein, Hassan» rief.

5. Das höckerlose Kamel von Dschemalabad
     
    Am

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