Orient-Express (German Edition)
Morgen ein ziemlich breiter Pass, über den eine gepflasterte Straße führte, vermutlich angelegt von dem nimmermüden Schah Abbas. Die klare thymianerfüllte Luft vertrieb die Miasmen von Mianeh. Doch der Sajjid war untröstlich. Mit Tränen in den Augen versicherte er mir, dass er gestochen worden sei und nun wahrscheinlich sterben werde. «Et après tellement de précautions», sagte er bekümmert, während wir die letzte Biegung vor der Passhöhe nahmen. Weder die Landschaft noch der frische Nachschub an Melonen und köstlich duftenden weißen, kernlosen Trauben konnte ihn umstimmen. Er hatte sich als krank bezeichnet und schuldete es seiner Reputation, die Richtigkeit seiner Diagnose unter Beweis zu stellen, also musste er krank sein; es war Malaria.
Mittagessen unter einem Apfelbaum in dem verfallenen Dorf Dschemalabad, recht düsterer Stimmung diskutierten wir über Religion, während ein uraltes Kamel, verwahrlost und höckerlos, von einem benachbarten Feld mit einem «Die werden ein böses Ende nehmen»-Ausdruck herüberstarrte. Der Sajjid sagte, dass alle Propheten eine kleine Wahrheit zu sagen hätten und dass ihre Anhänger zusammenhalten sollten statt zu streiten, denn le Dieu sei le Dieu, wie immer man ihn nenne. Nein, er sei kein Bahai, aber er denke in vielen Dingen wie sie, das seien gute Leute, ehrlich und tolerant und interessiert an Fortschritt und Bildung. Wenn es doch nur mehr von ihnen in Persien gäbe! Aber die Armen seien unwissend und fanatisch und glaubten, was ihnen die Mollahs erzählten. «Stellen Sie sich vor», sagte er und saß plötzlich kerzengerade, «ich hätte auch ein Mollah werden können und nicht Arzt, also ein Mann der Wissenschaft ... Mein Vater war Mudschtahid 17 , ein sehr heiliger Mann, und wenn die amerikanischen Missionare nicht mit ihm geredet und ihn gedrängt hätten, mich zum Studium ins Ausland zu schicken, würde ich jetzt gewiss einen Bart und einen blauen Turban tragen und wäre ein Mudschtahid geworden. Wundert es Sie, dass mir alles Amerikanische gefällt?»
Dann wandte sich der Sajjid an einen sehr zerlumpten Mann, der ein wenig entfernt von uns saß und unsere Melonenschalen aß. Wie sich herausstellte, war sein Vater der Besitzer dieses Felds und vieler anderer gewesen. Doch dann waren die Türken gekommen und hatten die Ernte vernichtet und das Haus angezündet und seinen Vater ermordet, und nun war er ein Bettler. Er erzählte seine Geschichte so gelassen, als wäre sie Teil der göttlichen Ordnung. Islam ist wahrhaftig Ergebenheit.
6. Die türkisblauen Kuppeln von Zendjan
In Tarzikand gab es nur einen Ort zum Schlafen, ein paar wackelige Bretter über einer Zisterne voll quakender Frösche. Die Zisterne befand sich in einem ummauerten Gärtchen mit Mandelbäumen. Ein heftiger Wind wehte die Kohlestückchen vom Samowar, und ständig flog das hauchdünne Brot davon, das es zum Abendessen gab. Ich lag vorsichtig auf den Brettern, die Sterne über mir hingen wie weihnachtliche Silberkugeln an den Zweigen der Mandelbäume.
Der Sajjid war schweigsam in diesen Tagen, nahm Chinin und maß seine Temperatur. Wir übernachteten ein weiteres Mal in Yekendje, einer Schlucht voller mächtiger Pappeln, die das steinige Flussbett säumten wie die silbrigen Bäume auf Piero della Francescas Taufe Christi. Auf dem Dach des Chans richteten wir uns ein, es gab dort auch ein Zimmerchen, in das sich der Sajjid mit seiner Malaria zurückzog. Bedient wurden wir auf das Liebenswürdigste von einem kleinen Jungen namens Gholamhossein, der von seinem Zuhause in Zendjan weggelaufen war, weil er, wie er sagte, seinen Vater nicht mehr leiden konnte. Als wir ihn am Morgen fragten, ob wir etwas für ihn tun könnten, sagte er, dass der Sajjid, der doch ein Hakim sei, ein Arzt, vielleicht ein Mittel für ihn habe, mit dem er sein Gesicht heller machen könne, das wirklich sehr dunkel war.
In Zendjan besserte sich die Stimmung des Sajjid dank eines sehr aromatischen Getränks namens Bidmesch, das ein wenig nach Orangenblüten duftete und unglaublich träge und sanft die Kehle hinunterrann. Wir unternahmen einen Versuch, in einem Lokal im Basar etwas zu essen, aber mit brutaler Entschiedenheit wurde uns erklärt: Farangi nadjiss, Europäer sind unrein. Der Sajjid konnte die Leute nicht einmal davon überzeugen, dass er ein guter Muselmann und ein Nachkomme des Propheten war, da er zu diesem Zeitpunkt einen europäischen Filzhut trug. Also aßen wir schändlicherweise in
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