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Orient-Express (German Edition)

Orient-Express (German Edition)

Titel: Orient-Express (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dos Passos
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stand auf, klopfte den Staub von seiner Hose und murmelte meditativ: «Quel théâtre!» Woraufhin Astulla Khan einen gigantischen blitzblanken Samowar herbeischleppte und die Geschäfte des Tages wiederaufgenommen wurden.
    Aus der Ebene von Täbris fuhren wir einen trockenen Pass hinauf und aßen an einer langen Steigung unseren eigenen Staub, bis ein weiteres Tal voller Pappeln und Lehmdörfer sich zu unseren Füßen öffnete und es rumpelnd wieder bergab ging. In Basmieh, wo wir aßen, gab es einen denkwürdigen Garten. Zum ersten Mal wurde der Sajjid poetisch. Wir lagen unter silbrigen Aspen in einem grasgrünen Garten voll glitzernder Bäche, und ein Knabe, dem das Haar, wie bei mittelalterlichen Pagen, fast bis auf die Schulter fiel, der einen straffgegürteten Kittel und eine weite hellblaue Hose trug, brachte uns Tee und einen Schoß voll roter Äpfel. Dann setzte sich der Sajjid kerzengerade hin und rezitierte, die Augen halb geschlossen, mit brummender Stimme das Gedicht von Hafis, das ich später bei Miss Bell 15 gefunden habe:
     
Uns genügt das Blumenantlitz
aus dem Garten dieser Welt,
uns genügt von dieser Wiese
der Zypressen hoher Schatten!
Das Gespräch mit Heuchlern
sei mir fern,
und von dem Erlesenen der Welt
sei genug uns der erlesene Becher! 16
     
    «Quel théâtre!», rief der Sajjid, als er fertig war, steckte sich ein Stück Zucker in den Mund und legte sich mit ausgebreiteten Armen wieder in das weiche Gras.

2. Der Ringer des Schahs
     
    An diesem Tag, nach einer Fahrt durch pappelbestandene Täler, vorbei an einer langen Kette kahler dunkelroter Berge, übernachteten wir in einem heruntergekommenen Chan neben einer großen Karawanserei, einem schönen, inzwischen verfallenen Ziegelbau jenes Typus, den Reisende stets dem guten Schah Abbas zuschreiben. Der Ort hieß Schibli, und dort fanden wir einen Trupp Straßenwärter unter dem Kommando von Hakim Sultan, einem mächtigen Krieger. Hakim Sultan war eine untersetzte, mit Patronengurten behängte Figur. Er saß in der besten Ecke des Raums, zog an einer Wasserpfeife und musterte uns wohlwollend mit seinen schmalen Schweinsäuglein im fetten Gesicht. Haar und Schnurrbart waren hennarot gefärbt. Zwischen tiefen Zügen, bei denen das Wasser wie verrückt brodelte, erzählte er, dass er während des Ramadan einmal vor dem Schah als Ringkämpfer aufgetreten sei und alle seine Kontrahenten besiegt habe. Außerdem sei er ein Meisterschütze. Seine Leute, feine sehnige Nomaden, mit nicht ganz so vielen Patronengurten behängt wie ihr Anführer, hockten in respektvollem Abstand und nickten bestätigend wie chinesische Spielzeugfiguren. Erst vor fünf Tagen habe er genau hier in diesem Chan zahllose Schahsavan zurückgeschlagen. Sogleich zeigte man uns die Einschusslöcher in der Wand. Es wurde eingeräumt, dass die Eindringlinge mit dem ganzen Vieh entkommen waren. «Aber ich habe sie in die Berge zurückgejagt. Hier von dieser Stelle aus habe ich geschossen.» Man konnte ihn sich gut vorstellen, wie er mit seinem Gewehr dasaß und damit hantierte, als wäre es seine Wasserpfeife. Ah, die Schahsavan, das seien mächtige Männer! Elf von ihnen hätten einst tausend russische Soldaten entwaffnet, die mit Artillerie gegen sie losgeschickt worden waren. Sie lebten so weit oben in den Bergen, dass ein Wegkundiger sich nicht mehr zurechtfindet, wenn er ihr Land erreicht. Ihre Teetassen und Joghurtschalen seien aus purem Gold, und ihre Kamele hätten sie nie gezählt. So seien diese Männer, die er, Hakim, sein Leben lang bekämpft habe.
    In diesem Moment wurde der Vortrag unterbrochen, denn der Gastgeber erschien mit einem erregt gackernden Huhn in jeder Hand. Beide wurden dem Sajjid präsentiert, der sie mit einem Ausdruck überirdischer Weisheit kniff und stupste. Schließlich wurde ein Vogel ausgewählt und der andere zurückgewiesen, und einer der Nomaden setzte mit einem Messer dem Gegacker abrupt ein Ende. Und während draußen ein vielversprechendes Brutzeln anhob, ergriff der Sajjid das Wort. Er beschrieb die Länder der Welt, von Berlin bis Stambul, ihre Verfassung und die politischen Verhältnisse, dass einige gut, andere schlecht seien und wieder andere, namentlich die Türkei und die Bolschewiken, tamam , erledigt seien.
    Später erklärte er mir, dass die Türkei und die Bolschewiken keineswegs tamam seien, dass er nur ihre Propaganda entkräften wolle. «Di-ploo-ma-tik!», sagte er und zog das Wort mit einer Geste seiner braunen Hand in die

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