Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Orphan 1 Der Engel von Inveraray

Orphan 1 Der Engel von Inveraray

Titel: Orphan 1 Der Engel von Inveraray Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karyn Monk
Vom Netzwerk:
tapfer versuchte, das schwere Tablett im Gleichgewicht zu halten. „Wo?"
    „Da!" kreischte sie und zeigte auf seine Fußknöchel.
    Dann sah Genevieve nur noch, wie er vor Angst in die Luft sprang und dann unsanft in einem Durcheinander aus klebrigen Schüsseln und klumpigem Haferschleim landete.
    „Scheucht sie weg!" brüllte er und rappelte sich hastig auf. Die Arme weit ausgebreitet, rannte er auf Genevieve zu, als erhoffe er sich Rettung von ihr, verfing sich dabei jedoch mit dem Fuß in einer der umherliegenden Schüsseln, die daraufhin auf einem Klecks Haferbrei ins Rutschen kam. Sims schlitterte geradewegs in Governor Thomsons Büro, wo sein Sturz zu seinem Glück von dem kostbaren Mahagonistuhl abgemildert wurde.
    Der Stuhl selbst hatte weniger Glück.
    „Um Himmels willen, Sims, was ist in Sie gefahren?" donnerte Governor Thomson erbost. „Schauen Sie nur, was Sie mit meinem Stuhl gemacht haben!"
    „Ist das schreckliche Vieh weg?" wimmerte der Wärter und guckte sich gehetzt um.
    „Ich bin nicht sicher", sagte Genevieve und ließ den Blick auf der Suche nach Jack durch den düsteren Gang schweifen. Von dem Jungen fehlte jede Spur.
    „Ich sehe keine Ratte", berichtete Jack ruhig, als er kurz darauf um die Ecke bog. „Sie hat sich bestimmt aus dem Staub gemacht."
    Er schlenderte an Genevieve vorbei in Governor Thomsons Büro. „Ein Jammer, das mit Ihrem Stuhl", bemerkte er, und seine Stimme triefte vor Schadenfreude. Er bückte sich, um das lädierte Möbelstück aufzurichten. „Vielleicht lässt er sich wieder in Ordnung bringen."
    Nachdem der Stuhl auf die drei verbliebenen Beine gestellt worden war, lagen Sims'

    Zellenschlüssel auf dem Boden, gerade so, als hätte er sie verloren, als er mit Wucht gegen das Möbelstück geprallt war.
    „Mein Stuhl!" jammerte Governor Thomson über das abgebrochene Mahagonistuhlbein gebeugt. „Er ist dahin!"
    „Es tut mir Leid, Sir", stammelte Sims und wirkte wie ein geprügelter Hund. „Doch ich ... ich hasse Ratten!"
    „Wenn es nichts mehr zu besprechen gibt, werden Jack und ich uns nun verabschieden", verkündete Genevieve. Sie wollte Jack so rasch wie möglich fortbringen, bevor der Junge versuchte, noch etwas zu stehlen.
    „In Ordnung", antwortete Governor Thomson, offenbar hin- und hergerissen zwischen dem Verlangen, wegen seines zerbrochenen Stuhls in Tränen auszubrechen, und dem Wunsch, Sims das abgebrochene Stuhlbein über den Schädel zu schlagen. „Und du, junger Mann", sagte er und blickte Jack dabei streng an, „sieh zu, dass du dein gesetzloses Betragen änderst und alles tust, was Miss MacPhail dir befiehlt. Ein Fehltritt, und du landest wieder hier, und danach geht es ab mit dir in die Besserungsanstalt, hast du gehört?" Er fuchtelte drohend mit dem abgebrochenen Stuhlbein.
    „Ich bin sicher, Jack weiß um die Ernsthaftigkeit seiner Lage", entgegnete Genevieve hastig aus Furcht, Jack könne Governor Thomson abermals durch eine freche Antwort verärgern. „Guten Abend, Governor Thomson! Mr. Sims", ergänzte sie knapp und nickte dem zerknirschten Wärter zu, an dessen Uniform noch immer graue Klumpen geronnenen Haferschleims klebten.
    Die Hand fest auf Jacks Schulter gelegt, schob sie den Jungen zur Tür und versuchte nicht darüber nachzudenken, was er mit dem Schlüsselbund des Wärters wohl getan haben mochte.
    Kalte, feuchte Dunkelheit lag wie ein schwarzes Tuch über dem Gefängnis. Es herrschte Stille, die nur dann und wann von den trostlosen Lauten menschlichen Leids unterbrochen wurde. Keuchendes Husten mischte sich mit bitterem Seufzen, und aus einer Zelle im zweiten Stock drang leise das herzzerreißende Schluchzen einer Frau. Es waren die dumpfen Laute der Hoffnungslosigkeit, das Grabesgeläut zerstörter Menschen, die von der Gesellschaft ausgestoßen und nahezu vergessen worden waren.
    Außer vom niederträchtigen Wärter Sims, der es sich zum Grundsatz gemacht hatte, niemals einen der Gefangenen zu vergessen.
    In seiner recht beschränkten Weltsicht trugen diese Männer, Frauen und Kinder ganz allein die Schuld daran, dass sie im Kerker gelandet waren. Und nun, da dieser Abschaum seiner Obhut unterstellt war, bestand sein ganzer Ehrgeiz darin, die Unglücklichen jeden Augenblick für ihre Verbrechen büßen zu lassen. Außerdem sollten sie begreifen, dass ihr Leben fortan in seinen Händen lag, nicht in jenen des törichten Governor Thomson. Nur so konnte Ordnung in seinem Gefängnis herrschen. Und wenn er ganz ehrlich war,

Weitere Kostenlose Bücher