Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ort der Angst (German Edition)

Ort der Angst (German Edition)

Titel: Ort der Angst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mala Wintar
Vom Netzwerk:
Knochen darstellen sollten. Der Mann ging auf die Ofrenda zu und platzierte das Gebäck vor einer der dort aufgestellten Fotografien.
    „Ist doch schön, wenn man an seine Verstorbenen denkt“, murmelte Anna und löffelte den Schaum von ihrem Kaffee.
    „In deinem tollen Reiseführer steht auch was darüber!“, warf Robert an Oliver gewandt ein. „Das Fest in seiner heutigen Form ist eine Mischung aus alten Traditionen der Ureinwohner und christlichen Einflüssen; also stark von den spanischen Eroberern mit geprägt!“
    Der Kellner straffte die Schultern.
    „Si! Wenn Sie es so betrachten wollen.“ Sein Lächeln wirkte auf einmal maskenhaft. „Señores! Was darf ich Ihnen zu trinken bringen?“ Der Mann notierte die Bestellung und verschwand ohne ein weiteres Wort.
    „Du hast wirklich ein Händchen dafür, bei der einheimischen Bevölkerung einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen!“, bemerkte Oliver zynisch. Ohne auf die Bemerkung einzugehen, vertiefte sich Robert weiter in den Reiseführer.
    „Und mir hast du nichts vom Markt mitgebracht?“, fragte Melanie gekränkt.
    „Aber natürlich, entschuldige! Du bekommst …“ Oliver zog ein weiteres Päckchen hervor. Als Melanie es öffnete, fand sie eine filigran gearbeitete Figur aus Porzellan darin vor; ein weibliches Skelett in einem prachtvollen Kleid mit riesigem Hut. „… La Catrina! Die wichtigste Dame während dieser Festtage. Gleich nach dir, versteht sich!“
    „Aha! Willst du mir mit diesem Gerippe was Bestimmtes mitteilen?“
    „Jetzt, mein Freund, sitzt du in der Patsche!“, feixte Robert. „Ein Mann sollte nie etwas tun oder sagen, das eine Frau als Kritik an ihrer Figur werten könnte!“
    „Dann lege ich am besten gleich ein Schweigegelübde ab und gehe ins Kloster! Gewissen Frauen gelingt es, grundsätzlich alles als Kritik an ihrer Figur zu werten!“
    „Mel, du verstehst das ganz falsch! Dein Freund versucht lediglich, dich mit den hiesigen Bräuchen vertraut zu machen. Die Leute in diesem Kulturkreis haben eine ganz andere Einstellung zum Tod als unsereins. Sieh mal!“, fuhr er fort und bog den Reiseführer an jener Seite auseinander, die den Mumifizierten zeigte. „Das Museum von Jachich stellt sogar einen schlafenden Gott aus! Schau ihn dir nur mal an! Der Bursche hat sicher mal richtig gut ausgesehen!“ Boshaft hielt er Melanie die Abbildung direkt vors Gesicht und lachte. Die schlug ihm angewidert auf die Hand und zischte: „Ekelhaft! Nimm das weg! Das will ich überhaupt nicht sehen!“
    Oliver sah zu Anna, verdrehte die Augen und stand auf.
    „Wenn ihr mich sucht, ich bin mal eben telefonieren.“ Als er den Kellner im Café nach einer Telefonzelle fragte, war dieser so freundlich, ihn den Hausapparat benutzen zu lassen. Oliver las die Nummer von seiner Fotopostkarte ab und wählte. Eine weibliche Stimme meldete sich. Er konnte den Namen nicht richtig verstehen.
    „Guten Tag, bitte entschuldigen Sie die Störung! Hier ist Oliver Sandner! Könnte ich bitte meinen Vater, Herrn Paul Sandner sprechen?“
    Für einen Moment herrschte Stille in der Leitung, ehe die Frau antwortete: „Sandner? Der wohnt hier nicht mehr!“

 
     
    Kapitel 14
     
    Paul vergrub das Gesicht in den Händen und weinte. Die fröhliche Musik, die von der Straße her durch das halb geöffnete Fenster seines schäbigen Büros drang, konnte seinen Kummer nicht mildern. Im Gegenteil. Seit jenem verhängnisvollen Tauchgang, den er vor ein paar Tagen zusammen mit Maria unternommen hatte, durchlebte er die Hölle auf Erden. Seine Gefährtin im Stich gelassen zu haben und nicht einmal zu wissen, wie es dazu kam, war mehr, als er ertragen konnte. Sobald er versuchte zu begreifen, was geschehen war, zerbarst seine Erinnerung in tausend Stücke. Sein Gedächtnis glich einer mit Kreide beschrifteten Tafel, über die jemand grob hinweggewischt hatte; es war ihm nicht möglich, die verschwommenen Fragmente zu einem verständlichen Ganzen zusammenzusetzen. Er wusste noch, dass sie einen neuen Höhlenabschnitt entdeckt hatten, und nur wenig später dieses Skelett. Aber danach? Das nächste, woran er sich wieder halbwegs erinnerte war, dass er bäuchlings mit einem Bündel unter dem Arm aus einer Dschungelruine gekrabbelt kam.
    Paul krallte die Finger in seine Stirn und schluchzte. Das Knarren der Eingangstür ließ ihn aufhorchen.
    „Hallo! Ist da jemand?“
    Hastig wischte er sich mit dem Ärmel über die Augen und rannte zum Hauptraum. Der Anblick des

Weitere Kostenlose Bücher