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Ort der Angst (German Edition)

Ort der Angst (German Edition)

Titel: Ort der Angst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mala Wintar
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neben ihm auf.
    „Sehr schön, den nehme ich!“, lenkte Oliver hastig ein, indem er einen der Reiseführer von der Theke klaubte und damit herumwedelte. An die Großmutter gewandt erklärte er: „Wir sind nämlich Touristen! Deswegen brauchen wir auch den Plan!“
    „Auf die Idee wäre ich nie gekommen!“, bemerkte die Ältere bissig.
    Einen kleinen Abstecher zum Markt später machten sich die jungen Männer auf den Rückweg zur Haltestelle. Jeder trug eine bunte Tüte mit Neuerwerbungen bei sich.
    „Musst du eigentlich jede hübsche Frau angraben, der du begegnest? Wenn Anna das mitkriegt!“, grollte Oliver.
    „Du wirst es ihr schon stecken, schätze ich!“
    „Solange es nur beim Flirten bleibt …“
    „Lass dir eines gesagt sein“, begann Robert und schlug Oliver kumpelhaft auf den Rücken. „Wenn eine Frau sich deiner zu sicher ist, verliert sie ganz schnell das Interesse!“
    „So weit hast du es wohl noch nie kommen lassen!“
    „Davon kannst du ausgehen! Wenn wir schon beim Thema sind; du und Anna, ihr seid schon ewig befreundet, wie ich höre. Habt ihr wirklich nie was miteinander gehabt?“
    „Was? Nein, zum Teufel!“
    Das stumme Nicken des anderen ging Oliver auf die Nerven. „Du glaubst mir nicht?“
    „Wenn du es sagst!“ Roberts Grinsen verflog erst wieder, als sie die verlassene Haltestelle erreichten. Kein Bus, kein Gepäck, auch von ihren Freundinnen fehlte jede Spur.
    „So ein Mist! Wo sind die hin?“, schimpfte Oliver und blickte hektisch um sich. „Glaubst du, man hat sie entführt?“
    „Quatsch!“
    „Und wo sind sie dann? Ständig hört man, dass Touristen entführt werden. Und dann zwei so junge Dinger!“
    Ein schriller Pfiff unterbrach seinen Redeschwall.
    „Na also! Da sind unsere Vermissten!“, spöttelte Robert und winkte seiner Freundin zu, die zusammen mit Anna im Schatten vor einem Café saß.
    „Und dieser eklige Typ im Bus direkt vor uns! Manche Leute scheinen einfach nicht zu wissen, was ein Deodorant ist!“, zischte Anna. Melanie nickte.
    „Frauen bei ihrer Lieblingsbeschäftigung: Lästern!“ Oliver nahm sich einen freien Stuhl und setzte sich.
    „Ihr seid vielleicht lustig! Eine halbe Stunde lasst ihr uns alleine in der Sonne braten!“
    „Der Junge hier hat sich vor Sorge fast in die Shorts gemacht, als ihr nicht an der Haltestelle wart. Er dachte, man hätte euch entführt!“
    „So?“, bemerkte Anna in gnädigerem Tonfall. „Wenigstens etwas!“
    „Wir haben euch was vom Bazar mitgebracht.“ Oliver zog das zuoberst liegende Päckchen aus seiner Tüte und reichte es Anna. „Das hier müsste deins sein.“
    Sie rupfte das Papier auseinander und förderte einen farbenfroh verzierten Totenschädel aus Zuckerguss zutage. „Auf der Stirn steht mein Name drauf!“ Anna hielt den Kopf schräg und wusste offensichtlich nicht so recht, was sie von dem Geschenk halten sollte.
    „Leute, wir haben ein riesen Glück! Hier feiert man gerade den Tag der Toten! Ein uraltes Volksfest! Überall gibt es Süßigkeiten in Form von Schädeln oder kleinen Särgen zu kaufen. Solche Calaveras de Dulce symbolisieren übrigens Freundschaft über den Tod hinaus, wenn ich den Verkäufer richtig verstanden habe“, sagte Oliver und deutete auf das Zuckerwerk.
    „Naja, wer´s mag! Ganz schön makaber, wenn ihr mich fragt!“, sagte Melanie und nippte an ihrem Getränk. Der Kellner, der gerade Annas Kaffee brachte, musste einen Teil der Unterhaltung gehört haben und widersprach in galantem Ton: „Makaber? Aber nein, bella Sigñora! Der Día de los Muertos gehört in Mexiko zu den wichtigsten Feiertagen! Wir gedenken unserer Toten, ohne traurig zu sein. Seit Wochen bereiten wir uns darauf vor. Sehen Sie den Gabentisch dort drüben?“ Der Mann zeigte auf einen von gelben Tagetes umgebenen, reich geschmückten Altar, den man neben dem Marktbrunnen aufgebaut hatte; zwischen Speisen, Getränken und noch mehr künstlichen Totenköpfen befanden sich auch gerahmte Portraits. „Solche Ofrendas kann man zurzeit überall in der Stadt finden. Viele Familien errichten ihre eigenen innerhalb der Wohnung. Aber es gibt auch öffentliche, wie diese hier. So begrüßen wir unsere Verstorbenen, wenn sie uns einmal im Jahr besuchen kommen.“
    Ein älterer Herr ging direkt an ihnen vorüber und trug einen großen Teller mit einer Art rundlichem Brot vor sich her. Jetzt, da Oliver mehr über dieses Fest wusste, konnte er sich gut vorstellen, dass die Verzierungen auf dem Backwerk

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