Ort der Angst (German Edition)
Neuankömmlings versetzte ihm einen weiteren Schock. Er war sprachlos. Der andere kam auf ihn zu und umarmte ihn herzlich.
„Hallo Vater!“
Paul rang um Fassung. Seine Hände zitterten, als er versuchte, die Umarmung zu erwidern.
„Schön, dass ich dich doch noch gefunden habe! Ich hatte schon Angst, du seist weggezogen!“ Oliver strahlte über das ganze Gesicht.
Als sein Sohn anfing, ihn zu mustern, wurde sich Paul seines ungepflegten Zustands bewusst. Seit seiner Rückkehr aus dem Dschungel vegetierte er nur noch vor sich hin. Er aß nicht mehr und die Kleidung klebte ihm ungewaschen am Leib. Er sah schrecklich aus und stank nach Schweiß.
„Was ist mit deinen Augen? Weinst du etwa?“
„Wie? Ich werde ja wohl noch gerührt sein dürfen, wenn mein Sohn mich endlich mal besuchen kommt!“ Peinlich berührt fuhr er sich über das speckige Hemd. „Du musst schon entschuldigen, aber gestern ging es in Jachich hoch her. Ich habe bis gerade eben geschlafen. Die Leute hier wissen, wie man feiert“, log er in einem Versuch, sein verwahrlostes Erscheinungsbild zu erklären. Ob Oliver ihm nun die Lüge abkaufte oder nicht; seine jetzige Bleibe ließ sich nicht so einfach mit einer durchzechten Nacht erklären.
„Ich höre, du bist umgezogen? Seit Wochen versuche ich, dich telefonisch zu erreichen, aber erst heute ging überhaupt jemand an den Apparat. Eine Frau sagte, du seist weggezogen und gab mir den Namen dieser äh … Tauchschule?“ Oliver ließ den Blick über die ausgeblichenen Unterwasserposter an den Wänden, unaufgeräumte Tauchausrüstung und anderen herumstehenden Krimskrams wandern, bis er den kaputten Deckenventilator über seinem Kopf entdeckte. „Du hast dich wohl schon total an das Klima hier gewöhnt, wenn du den nicht brauchst.“
Paul winkte ab und wechselte das Thema. „Du warst also nicht bei mir zu Hause? Sicher hast du am Telefon mit der alten Cecilia gesprochen. Die Gute drückt sich manchmal schwer verständlich aus. Das“, sagte Paul und deutete in den Raum hinein „ist nur eine Übergangslösung. Ich quartiere mich hier nur so lange ein, bis die Renovierungsarbeiten am Wohnhaus abgeschlossen sind. Es gab ein schlimmes Erdbeben. Vieles ist kaputtgegangen.“
„Das mit dem Erdbeben habe ich mitbekommen! Dann gehört das hier also nicht dir?“
„Der Tauchclub? Aber ja doch! Ich habe ihn neu gekauft. Naja, neu ist vielleicht der falsche Ausdruck. Du siehst ja, es gibt noch viel zu tun. Aber das kriege ich schon hin! Du weißt ja, wie ich diesen Sport liebe! Was liegt da näher, als einen eigenen Club zu eröffnen? Das war schon immer mein Traum! Ich habe vor, Exkurse durch die Cenotes für Touristen anzubieten.“
„Das sind diese Unterwasserhöhlen, oder? Wow, klingt echt super! Wenn das so ist … ich freue mich, dass du hier dein Glück gefunden hast!“
„Ein Leben unter tropischer Sonne in einem Land voller schöner Frauen! Was will man mehr?“ Paul versuchte, den Schmerz zu verdrängen, der sich in seiner Brust ausbreitete.
Oliver nickte anerkennend. „Toll! Du verstehst es, zu leben! Ich wünschte, ich könnte das auch. Aber ich bin nun mal kein Abenteurer. Kann man als Ausländer hier einfach so einen eigenen Laden eröffnen?“
Paul wackelte jovial mit dem Kopf und strich mit den Fingern über die fleckige Theke. „Hier ist es, wie überall auf der Welt; du musst nur die richtigen Leute kennen! Sag mal, ich nehme nicht an, dass du die Reise ganz alleine unternommen hast!“
„Nein! Aber keine Sorge, Mutter ist nicht mitgekommen! Ich bin mit Freunden hier! Sie warten im Hotel auf mich! Anna ist auch dabei. Du erinnerst dich?“
„Die kleine Anna? Aber sicher! Ein liebes Mädchen!“ Paul starrte vor sich hin. Als er merkte, dass er Gefahr lief, in Schwermut zu versinken, setzte er ein übertrieben fröhliches Gesicht auf und klatschte in die Hände. „Du hast sicher nicht die weite Reise gemacht, um dir müßiges Geschwätz anzuhören! Wir sollten gemeinsam etwas unternehmen! Ein Jammer, dass du mir nicht rechtzeitig Bescheid geben konntest! Lass mal überlegen!“ Paul strich sich nachdenklich über das stoppelige Kinn. „Heute wollt ihr euch sicher erst ein wenig akklimatisieren und morgen kann ich nicht. Muss ein paar wichtige Termine wahrnehmen, du verstehst? Dann übermorgen! Und in der Zwischenzeit …“ Paul holte eine Kassette aus dem Schrank hinter dem Tresen und steckte seinem Sohn etliche Scheine daraus zu. „Hier, ein paar Pesos! Macht
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