Ort der Angst (German Edition)
vorbereitet!“, bemerkte Melanie schnippisch. „Wir könnten jetzt so schön in Mérida sein. Eine tolle Stadt! Mein Onkel hat mir mal Urlaubsbilder von dort gezeigt. Stattdessen sind wir in diesem …“
„… entzückenden kleinen Städtchen gelandet!“, vollendete er den Satz für seine Freundin und nahm die Fotokarte wieder an sich.
Melanie verzog den Mund. „So würde ich diesen Marktflecken hier nicht unbedingt bezeichnen. Das soll jetzt nicht heißen, dass ich was dagegen habe, deinen Vater zu besuchen, wenn wir schon in der Gegend sind. Aber du kennst ja nicht mal seine Adresse. Was machen wir, wenn er dem Kaff schon längst den Rücken gekehrt hat?“
„Mir ist so schlecht!“, jammerte Anna und quälte sich in eine aufrechtere Haltung. „Ich will nie wieder in einen Bus einsteigen!“
„Das musst du auch nicht!“, antwortete Oliver und tätschelte Annas Schulter. „Zumindest nicht bis zur Rückreise!“ Die junge Frau gab ein gequältes Stöhnen von sich. Melanie blickte finster drein. Als Robert mit zwei großen Koffern beladen anrückte, eilte Oliver ihm sofort entgegen, um zu helfen. Alles, was ihm einen Vorwand lieferte, einer weiteren Diskussion mit seiner Freundin aus dem Weg zu gehen, sollte ihm recht sein.
„In Ordnung! Ich gehe schnell in das Geschäft dort drüben und danach sehen wir weiter. Ich bin gleich zurück!“, sagte er und machte sich aus dem Staub.
Eine Frau schob gerade einen mit farbenprächtigen Tüchern behängten Metallständer zurück in das Innere des Ladens. Oliver rannte los. „Entschuldigung, schließen Sie schon? Ich müsste ganz dringend noch was kaufen!“, rief er im Näherkommen auf Spanisch. Sowohl er als auch seine Freunde beherrschten die Sprache gut genug, um sich hierzulande problemlos verständigen zu können. Als sich die junge Frau ihm zuwandte, erinnerte sie ihn mit ihrem hübschen Gesicht und dem Pferdeschwanzlook sofort an Salma Hayek aus dem Film Dogma.
„Ich bin etwas in Eile, aber wenn Sie wissen, was Sie wollen, kein Problem!“
Erleichtert betrat Oliver das Geschäft. Robert kam ebenfalls dazu.
„Was machst du hier? Ich dachte, du bleibst bei den anderen!“
„Die Mädels sind alt genug, um ein paar Minuten auf sich selber aufzupassen!“
Eine alte Dame in festlicher Kleidung rauschte in den Verkaufsraum und zog sofort die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich. „Isabella! Du bist ja immer noch hier! Du musst Carlos mit den
Cempasúchitl
helfen! Dein Vater hat keinerlei Gespür für Blumen. Er wird alles zerdrücken!“, rief sie harsch.
„Abuela, geh ruhig schon voraus! Ich komme gleich nach!“
Die Ältere ließ ein ungnädiges Brummen hören und setzte sich demonstrativ in den Korbsessel, der in einer Ecke des Verkaufsraumes stand.
„Ich bräuchte einen Reiseführer, am besten mit einem Verzeichnis der ansässigen Hotels. Haben Sie so was da?“, erkundigte sich Oliver.
„Natürlich!“ Die Verkäuferin zog mehrere Reiseführer unter der Theke hervor und breitete sie vor ihm aus. Während er sich beeilte, sich für eines der Exemplare zu entscheiden, blätterte Robert in einem Buch, das den Titel „Inka, Maya und Azteken“ trug.
„Unglaublich, was die hier schreiben!“, sagte Robert und stieß Oliver dabei mit dem Ellenbogen in die Rippen. „Die alten Inka sollen ihre toten Herrscher nicht nur einbalsamiert, sondern trotz ihres Ablebens auch weiterhin in das Geschehen bei Hof integriert und bei wichtigen Entscheidungen um Rat gefragt haben. Kannst du dir das vorstellen?“
„Falls Sie sich für dieses Thema interessieren; das Museum von Jachich stellt einen echten Mayakönig aus!“, erklärte die junge Frau und schlug einen der Reiseführer auf. „Den Grabinschriften zufolge handelt es sich um Ek Balam, was übersetzt so viel wie „Schwarzer Jaguar“ bedeutet. Man bezeichnet ihn aber auch als den schlafenden Gott!“
Robert äugte auf die Abbildung der Mumie und zuckte mit den Schultern. „Der viele Schlaf hat seinem Aussehen wohl nicht sonderlich gutgetan. Ehrlich gesagt gibt es andere Sehenswürdigkeiten, die mich mehr interessieren. Mit der richtigen Reiseleiterin an meiner Seite bin ich grundsätzlich für jedes Thema offen. Ich würde Sie zu gerne mal für eine private Tagestour buchen!“, sagte Robert verschmitzt zu der jungen Frau und schob sich einen Kaugummi in den Mund.
Die alte Dame erhob sich umgehend von ihrem Platz und baute sich mit eisigem Blick und in die Hüften gestemmten Armen
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