Ort der Angst (German Edition)
entwinden. Die weichen Stränge legten sich in einem dichten Netz um ihren ganzen Körper, hüllten ihn ein und zogen ihn dem Abgrund entgegen. Ein rotes Aufblitzen durchbrach die Dunkelheit.
Heilige Mutter Gottes, hilf mir!
Kapitel 13
Als die nuschelnde Stimme des Busfahrers den Reisenden über das Bordmikrofon mitteilte, er müsse die reguläre Strecke nun verlassen, um stattdessen einen kleinen Umweg zu nehmen, ahnten sie nicht, dass ihnen ein Höllenritt über verschlungene Trampelpfade und löchrige Feldwege bevorstand. Laut Aussage des Fahrers war ein erst wenige Tage zurückliegendes Erdbeben schuld an der Misere; die dabei entstandenen Straßenschäden machten es erforderlich, Teile des Straßennetzes vorübergehend zu sperren. Oliver tat sich mit der Vorstellung schwer, dass die zwar beschädigte aber immerhin asphaltierte Fahrbahn in einem schlechteren Zustand sein sollte, als die Buckelpiste, über die sie jetzt hinwegholperten. Von der rauen Schönheit der Landschaft zwar keineswegs gerührt, dafür aber umso kräftiger durchgeschüttelt, erreichten sie ihr Ziel um die Mittagszeit mit einer guten Stunde Verspätung.
Erleichtert und etwas wacklig auf den Beinen stieg Oliver als letzter der Gruppe aus dem Reisebus. Sofort keimte Begeisterung in ihm auf, als er nur wenige Schritte von der Haltestelle entfernt den Marktplatz von Jachich erspähte. Zahlreiche Besucher tummelten sich dort zwischen den Ständen in der Mittagssonne und Oliver hätte nichts lieber getan, als sofort mit dem bunten Treiben zu verschmelzen. Doch zum einen mussten sie noch auf einen Teil ihres Gepäcks warten - der Busfahrer mühte sich noch immer damit ab, die Koffer seiner Fahrgäste aus dem Laderaum zu hieven, ohne dass jemand aus der ihn umringenden Menschentraube auf die Idee gekommen wäre, ihm dabei zu helfen - und zum anderen war es vielleicht keine so gute Idee, sich mit Sack und Pack in das Gewühle zwischen den Verkaufsständen zu stürzen. Darüber hinaus genügte ein Blick auf Anna, um diesen Gedanken endgültig zu verwerfen. Vornübergebeugt saß sie auf ihrem Rollkoffer und schlang die Arme um ihre Beine. Als Oliver sie fragte, ob er etwas für sie tun könne, hob sie den Kopf in Zeitlupengeschwindigkeit, blinzelte müde und verneinte. Ihr Gesicht war kreidebleich. Sogar die Sommersprossen wirkten blasser als sonst.
Melanie schien die abenteuerliche Fahrt besser weggesteckt zu haben. Nur ihre Laune hatte gelitten. „Und, wie geht es jetzt weiter? Sagtest du nicht, dass wir bei deinem Vater unterkommen können?“, fragte sie gereizt.
Oliver öffnete seinen Rucksack, kramte eine Fotopostkarte heraus und überflog die handschriftlichen Zeilen auf der Rückseite. Die Vorderseite zeigte ein schmuckes Stadthaus in katalanischem Stil.
„Eigentlich schon. Zumindest hat er mir das mal so geschrieben. Aber die Einladung liegt schon eine Weile zurück und unter der hier angegebenen Telefonnummer konnte ich ihn bisher nicht erreichen.“
„Machst du Witze? Demnach weiß er gar nicht, dass du ihn besuchen willst? Fabelhaft! Zeig mal her das Ding!“, sagte Melanie und riss die Karte an sich. „Das ist sein Haus? Schick! Was macht dein Vater eigentlich beruflich?“
Die Frage ließ Oliver an jenen Moment denken, als er triumphierend mit der Postkarte seines Vaters in das Architekturbüro seiner Mutter marschiert war, da sie Oliver nach der Scheidung prophezeit hatte, der Mann werde nie wieder ein Sterbenswörtchen von sich hören lassen.
„Dein Vater lebt jetzt in Mittelamerika? Was macht er denn da? Vermutlich holzt er dort den Regenwald ab. Zumindest wird er einen Weg gefunden haben, sich auf Kosten anderer zu bereichern. Das kann er am allerbesten!“, waren ihre Worte gewesen.
Oliver verdrängte die Erinnerung und antwortete seiner Freundin: „Er war schon immer so eine Art Lebenskünstler. Was er momentan macht, kann ich dir allerdings nicht sagen.“
Melanie warf einen weiteren Blick auf das abgebildete Gebäude.
„Wie auch immer. Zumindest scheint es sich zu lohnen. Und die Adresse?“
„Ich habe nur die Nummer hier. Falls ich ihn heute nicht mehr erreiche, können wir uns vorerst auch ein Hotelzimmer nehmen. Die sollen hier recht günstig sein. Bestimmt kann ich uns einen Plan von diesem Ort besorgen. Ach, wer sagts denn! Gleich dort drüben ist ein Souvenirladen!“ Oliver zeigte auf die gegenüberliegende Straßenseite.
„Du bist ein echtes Organisationstalent, was? Und so gut
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