Ort der Angst (German Edition)
letztes Menschenopfer aus den eigenen Reihen zu enden. Verstohlen beobachtete er die anderen Priester. Manche warfen sich Blicke zu. Xaman prägte sich die Gesichter jener genau ein. Yunuen, der Betagteste und zugleich Weiseste unter ihnen, krallte sich an seinem Zeremonienstab fest. Ein Flimmern um die blinden Augen des Alten verriet seine Erregung.
Mit weit ausholender Geste zog Ek Balam eine Waffe aus seinem Gürtel und hielt sie empor, damit jeder sie sehen konnte. Voller Misstrauen betrachtete Xaman den Dolch. Die Klinge schimmerte grünlich im Licht des Gewitterhimmels. Von seiner Position aus konnte er mit Leichtigkeit erkennen, dass es sich um ein kostbares Stück handelte.
„Vor meiner Rückkehr erhielt ich von den Herren der Unterwelt diesen Dolch aus Obsidian!“ Ein Raunen ging durch die Menge.
Ein Geschenk der Götter also! Er ist sich für keinen Trick zu schade, um einen Beweis für seine Geschichte zu liefern, dachte Xaman voller Verachtung .
„Diese Klinge wird unsere Gefangenen direkt in die Unterwelt schicken, damit sich die Götter an ihnen nähren können! Wenn unsere Pyramiden künftig rot in der Sonne glänzen, so soll es vom Blut der Fremden sein!“
Donnergrollen untermalte seine Worte. Ek Balam ließ die Arme sinken. Euphorisch jubelte das Volk ihm zu. Was für eine böse Macht ermöglichte es dem Halach Huinik, seine Untertanen derart zu blenden? Waren alle um Xaman herum verrückt geworden? Nein, wenn hier jemand den Verstand verloren hatte, dann der König. Vielleicht war er tatsächlich in die Unterwelt hinabgestiegen, um sein Volk zu retten. Aber die Schrecken Xibalbás mussten seinen Geist verschlungen haben, bevor sie diesen Wahnsinnigen zurück an die Oberfläche spien. Oder war er einfach zu einem Lügner geworden, der Verrat an den Göttern beging?
Xamans Blick bohrte sich in den Rücken des Herrschers. Er stand dicht hinter ihm. Wenn er ihn hier und jetzt hinunterstieß …
Ek Balam wandte sich von der Menge ab und schritt an ihm vorüber. Xaman senkte den Blick und ging beiseite.
„Ek Balam! Ek Balam! Ek Balam! Ek Balam!“, tönte es in endlosen Sprechchören über den Platz. Wie konnten sie einen Mann noch länger als schwarzen Jaguar bezeichnen, wenn ihm die Krallen fehlten? Von einer sterblichen Hülle abgesehen, erkannte Xaman diesen Mann nicht wieder. Sollte er zusehen, wie der Gottkönig, der zu einem Zerrbild seiner selbst verkommen war, das Volk in den Untergang trieb?
Ek Balam entschwand seinem Blick. Die anderen Priester begleiteten ihn zurück in das Gebäude. Xaman blieb alleine auf der Terrasse und trat vor. Als die Menge ihn sah, schwollen die Jubelrufe für einen Augenblick noch lauter an und erfüllten den Priester mit Euphorie. Er war sicher, nur er konnte diese Menschen jetzt noch retten.
Als sie erkannten, dass sie nicht den König vor sich hatten, erstarben die Schreie alsbald und die Masse begann, sich aufzulösen.
Lange blieb Xaman dort stehen. Der Regen strömte ihm über das Gesicht und durchtränkte seine Robe, bis sie schwer auf seinen Schultern lastete. Xamans Augen starrten ins Leere, aber sein Geist schmiedete einen Plan.
Kapitel 3
Der Schein der Öllampen ließ den Schweiß auf Amankayas Haut glänzen, als bestünde sie aus mattiertem Gold. Das Haar rutsche ihr in Kaskaden über die Schultern und streifte Xamans bloßen Körper, als sie sich keuchend über ihm bewegte. Fast am Gipfel der Lust angelangt, griff er nach ihrer Hüfte, doch sie entzog sich ihm und rutschte mit einem verschwörerischen Lächeln auf den Lippen weiter abwärts. Xaman schloss die Augen.
In wohliger Ermattung lag er auf seinem Lager und betrachtete die prachtvollen Bemalungen an den Wänden. Amankaya schmiegte sich an seine Seite.
„Liebst du mich?“ Ihr Flüstern war so leise, dass Xaman ohne Weiteres hätte vorgeben können, es nicht gehört zu haben. Stattdessen antwortete er, ohne sie dabei anzusehen: „Ist Liebe nicht eine Schwäche? Ein Hindernis, das selbst die mächtigsten Männer verwundbar macht?“
Beleidigt stieß sie sich von ihm weg und stand auf, um sich anzukleiden. Er konnte das leise Klatschen ihrer Sohlen auf dem Steinboden hören. Xaman wälzte sich zur Seite und richtete sich in aller Ruhe auf. Voller Wohlwollen betrachtete er ihre nackten Rundungen.
„Nein, eine Geliebte wäre mir nur im Weg!“
In ihrem verletzten Stolz gab sie ein Schnauben von sich und griff nach ihrer Kleidung.
„Aber … vielleicht gefiele es
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