Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ort des Grauens

Ort des Grauens

Titel: Ort des Grauens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
Vom Netzwerk:
sie nicht gerade jetzt verlieren.
    Er versuchte, das Blut nicht zu riechen. Er nahm lange, tiefe Atemzüge, zwang sich, die Augen zu öffnen und den toten Körper anzusehen. Er meinte, ihn sich das zweite Mal anzusehen, würde nicht so schlimm sein wie beim erstenmal. Diesmal wußte er, daß er da war, also würde es keineso große Überraschung sein.
    Die Überraschung war - die Leiche war weg.
    Thomas schloß die Augen, legte eine Hand vors Gesicht und schaute zwischen den gespreizten Fingern hindurch. Die Leiche war immer noch weg.
    Er fing an zu zittern, weil er zuerst dachte, dies sä wieder wie eine dieser Tevau-Geschichten, die er gesehen hatte, in denen scheußliche Leichen herumgelaufen waren wie Lebende, verwesend und voller Würmer, mit Knochen, die an einigen Stellen durchschienen, die grundlos Leute töteten und sie manchmal sogar aufaßen. Diese Filme konnte er sich niemals zu Ende ansehen. Und ganz sicher wollte er nicht in einer solchen Geschichte sein.
    Er war so verängstigt, daß er Bobby fast tevaut hätte
    Tote, Leichen, paß auf, paß auf, Leichen, hungrig und gemein, laufen herum —, aber er ließ es bleiben, da auf Dereks Decken und Laken kein Blut war. Das Bett war auch nicht zerwühlt. War ordentlich gemacht. Keine herumlaufende Leiche war schnell genug aufzustehen, das Bett abzuziehen und neu zu beziehen und alles während ein  paar Sekunden, in denen Thomas die Augen geschlossen hatte, so ordentlich zurechtzuzupfen.
    Dann hörte er das Wasser, das auf den Boden der Duschkabine im Bad prasselte, und er hörte Derek leise vor sich hinsingen, wie er es immer tat, wenn er sich wusch. Nur für einen kleinen Moment sah Thomas in seinem Kopf das Bild einer Leiche, die eine Dusche nahm. Die versuchte, sauber zu sein, von der aber neben dem Schmutz verweste Fleischbrocken abfielen, die den Abfluß verstopften. Es war eine Säuberung, bei der nur noch mehr Knochen sichtbar wurden.
    Dann wurde ihm bewußt, daß Derek niemals wirklich tot sein konnte. Thomas hatte gar nicht wirklich eine Leiche auf dem Bett gesehen. Was er gesehen hatte, war etwas anderes, etwas, was er in Tevau-Geschichten gesehen hatte - er hatte eine Vision gesehen.
    Derek war nicht ermordet worden. Was Thomas gesehen hatte, nur für einen Moment, war Derek, der morgen - oder an irgendeinem anderen Tag nach morgen - tot war. Es war etwas, das geschehen würde, egal, was Thomas auch tat, um es aufzuhalten, oder es könnte etwas sein, das nur dann geschehen würde, wenn er es zuließ, doch zumindest war es nichts, was bereits geschehen war.
    Er ließ das Fußbrett los und ging zu seinem Arbeitstisch. Seine Beine zitterten, und er war froh, sich setzen zu können. Er öffnete die oberste Schublade des Schränkchens, das neben dem Tisch stand. Er sah seine Schere darin liegen, wo sie sein sollte, sah seine Buntstifte und Stifte und Büroklammem und Tesafilm und Hefter -und einen angebissenen Schokoladenriegel in seiner aufgerissenen Verpackung, der nicht darin sein sollte, weil er nur Ungeziefer anziehen würde. Er holte ihn aus der Schublade, stopfte ihn in eine Tasche seines Bademantels und nahm sich fest vor, ihn später in den Kühlschrank zu legen.
    Eine ganze Weile starrte er die Schere an, lauschte Derek, der unter der Dusche sang, und dachte daran, wie die Schere in Dereks Bauch gerammt gewesen war, all die Musik und die anderen Geräusche für immer aus ihm herausgelassen und ihn zu dem Ort des Grauens geschickt hatte.
    Schließlich berührte er die schwarzen Plastikhandgriffe. Sie fühlten sich okay an, also berührte er die Metallschneiden. Aber das war schlimm, wirklich schlimm, als ob noch der Restblitz eines Unwetters in den Schneiden wäre, der in ihn fuhr, während er sie berührte.
    Ein knisterndes, prasselndes weißes Licht blitzte auf und sauste durch ihn hindurch. Er riß seine Hand zurück, schloß die Schublade und hastete zurück ins Bett. Dort saß er dann, die Decken um seine Schultern gezogen, so wie Tevau-Indianer sich in Decken hüllten, wenn sie an Tevau-Lagerfeuern saßen.
    Die Dusche wurde abgedreht. Das Singen hörte auf. Nach ein paar Minuten trat Derek aus dem Bad, gefolgt von einer Dampfwolke und einer Wolke von Seifengeruch. Er war schon angezogen. Sein nasses Haar war ordentlich aus der Stirn gekämmt.
    Er war keine verwesende Leiche. Er war ganz lebendig, jeder Teil von ihm, zumindest aber jeder Teil, den man sehen konnte, und nirgends bohrten sich irgendwelche Knochen durch seine Haut oder seine

Weitere Kostenlose Bücher