Ort des Grauens
Ding war.
Er hörte ganz plötzlich zu schlafen auf, setzte sich im Bett auf und versuchte zu schreien, war aber nicht fähig, in sich selbst irgendwelche Töne zu finden. Ein Weilchen saß er da, zitternd, Angst habend, so schwer und schnell atmend, daß ihm die Brust weh tat.
Die Sonne war zurück, und die Nacht war gegangen, und das ließ ihn sich besser fühlen. Er verließ das Bett, schlüpfte in seine Hausschuhe. Sein Pyjama war ganz kalt vom Schweiß. Er fröstelte. Er zog einen Bademantel an, ging ans Fenster, schaute hinaus und schaute hinauf. Der blaue Himmel gefiel ihm sehr. Der übriggebliebene Regen ließ den Rasen durchweicht aussehen, die Spazierwege dunkler als üblich und die Erde in den Blumenbeeten fast schwarz, und in den Pfützen konnte man den blauen Himmel wiedersehen wie in einem Spiegel. Auch alles das mochte er, weil die ganze Welt sauber und neu aussah, nachdem sich dieser ganze Regen aus dem Himmel über die Erde ergossen hatte.
Er fragte sich, ob das Böse Ding noch immer weit weg war oder näher, doch er griff nicht nach ihm. Weil es letzte Nacht versucht hatte, ihn festzuhalten. Weil es so stark war, daß er sich fast nicht wieder von ihm gelöst hätte. Und weil es, als er losgekommen war, versucht hatte, ihm zu folgen. Er hatte gefühlt, wie es sich an ihm festklammerte, mit ihm durch die dunkle Nacht zurückkehrte, und er hatte es abgeschüttelt, wirklich ziemlich schnell, aber vielleicht würde er beim nächsten Mal nicht so viel Glück haben.
Und möglicherweise würde es den ganzen Weg mitkommen, direkt zurück in dieses Zimmer, nicht nur sein Bewußtsein, sondern das Böse Ding selbst. Er verstand nicht, wie das geschehen könnte, aber irgendwie wußte er, daß das möglich sein würde. Und wenn das Böse Ding ins Heim eindrang, dann wäre Wachsein wie mit einem Alptraum schlafen, der einem den Kopf ausfüllt. Schreckliche Dinge würden geschehen, und es würde keine Hoffnung geben.
Er wandte sich vom Fenster ab, ging auf die geschlossene Badezimmertür zu, warf einen kurzen Blick auf Dereks Bett -und sah Derek tot. Er lag auf dem Rücken. Sein Gesicht war zu Brei zerschlagen, von blauen Flecken übersät, geschwollen. Seine Augen waren weit offen, man konnte sie im Licht vom Fenster und dem schwachen Licht der Bettlampe glänzen sehen. Auch sein Mund war offen, als schreie er, doch alle Geräusche waren raus aus ihm, wie die Luft aus einem geplatzten Luftballon raus war, und er würde niemals wieder irgendwelche Töne in sich haben, das konnte man sehen.
Auch das Blut war aus ihm rausgelassen worden, viel Blut, und eine Schere steckte in seinem Bauch, tief drin, man konnte nicht viel mehr als die Griffe sehen. Es war dieselbe Schere, die Thomas benutzte, um die Bilder für seine Gedichte aus den Magazinen zu schneiden.
Er spürte einen bohrenden Schmerz in seinem Herzen, möglicherweise so, als stoße jemand auch ihm eine Schere in den Bauch. Aber es war nicht so sehr ein Wehtun-Schmerz, es war eher das, was er einen Fühl-Schmerz nannte, weil er fühlte, daß er Derek verloren hatte, nicht daß ihm richtig wehgetan worden war.
Dennoch war es so schlimm wie wirklicher Schmerz, weil Derek sein Freund war, weil er Derek mochte. Er war auch verängstigt, weil er irgendwie wußte, daß es das Böse Ding gewesen war, das das Leben aus Derek herausgelassen hatte, daß das Böse Ding hier war, im Heim. Dann wurde ihm bewußt, daß Dinge passieren konnten, wie sie manchmal in Tevau-Geschichten passierten, daß die Polizei erscheinen und denken könnte, daß Thomas Derek getötet hatte und ihm die Schuld daran gab, aber er hatte es nicht getan.
Und das Böse Ding wäre die ganze Zeit los, um noch mehr Morde zu begehen, vielleicht sogar Julie das anzutun, was es Derek angetan hatte.
Der Schmerz, die Angst um sich selbst, die Angst um Julie - all das war zuviel. Thomas griff nach dem Fußbrett seines eigenen Bettes, schloß die Augen und versuchte, Luft in sich hineinzusaugen. Es ging nicht. Seine Brust war wie zugeschnürt. Dann schoß die Luft herein. Und mit ihr ein häßlich-scheußlicher Geruch, der, wie ihm nach einer Weile klar wurde, der Gestank von Dereks Blut war. Er würgte und hätte sich fast erbrochen.
Er wußte, daß er sich unter Kontrolle kriegen mußte. Die Pfleger mochten es nicht, wenn man die Kontrolle über sich selbst verlor, also gaben sie einem etwas -»zu seinemeigenen Besten«. Er hatte niemals zuvor die Kontrolle über sich verloren, und er wollte
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