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Ort des Grauens

Ort des Grauens

Titel: Ort des Grauens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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dieses armen Babys, Bobby, dann lachte er und bot mir das Blut an, besudelte mich damit. Er trinkt Blut, wissen Sie, sie lehrte ihn Blut zu trinken, und heute genießt er es, labt sich daran. Als ich mich weigerte, aus der Kehle des Babys Blut zu saugen, schleuderte er es beiseite, so wie man eine leere Bierdose wegwirft, und stürzte sich auf mich, aber ich - ich war schon weg.«
    »Ich meinte nicht, daß Sie gelogen haben, was ihn angeht.« Eine Welle brach sich am Strand, sie schob sich weiter als die anderen und umspülte Bobbys Füße. Für kurze Zeit konnte er das spitzenartige Flechtwerk des weißen Schaums auf dem schwarzen Sand erkennen.
    »Ich meinte, daß Sie uns wegen der Amnesie angelogen haben. Sie erinnern sich an alles. Sie wissen ganz genau, wo Sie sind.«
    »Nein, nein.« Frank schüttelte den Kopf und fuchtelte abwehrend mit den Händen.
    »Ich wußte es nicht, wußte nichts. Da war eine absolute Leere. Und möglicherweise wird da auch wieder diese Leere sein, wenn ich nicht mehr unterwegs bin und an einem Platz bleibe.«
    »Lügenscheiße!« schrie Bobby.
    Er bückte sich, nahm eine Handvoll des nassen schwarzen Sandes und warf ihn in blinder Wut nach Frank. Dann noch einmal zwei triefende Handvoll. Dann zwei weitere. Ganz allmählich wurde ihm bewußt, daß er sich wie ein Kind benahm, das einen Wutanfall hat.
    Frank zuckte jedesmal zusammen, wenn der nasse Sand ihn traf, wartete aber geduldig, bis Bobby aufhörte. »Das paßt nicht zu Ihnen«, sagte er, nachdem Bobby endlich aufgehört hatte.
    »Zur Hölle mit Ihnen.«
    »Ihre Wut steht in keinem Verhältnis zu dem, was ich Ihnen Ihrer Meinung nach angetan habe.«
    Bobby wußte, daß das stimmte. Während er seine sandbedeckten Hände an seinem Hemd abwischte und versuchte, zu Atem zu kommen, fing er an zu verstehen, daß er nicht sauer auf Frank war, sondern auf das, was Frank für ihn repräsentierte. Chaos. Dieses ganze Teleporting war wie eine Geisterbahn auf dem Rummelplatz, in der die Monster und Gefahren eben nicht illusorisch waren, in der man die ständigen Todesdrohungen ernst nehmen mußte, in der es keine Regeln und keine Grundwahrheiten gab, auf die man sich verlassen konnte, in der oben unten war und innen außen. Chaos. Sie waren auf dem Rücken eines Bullen namens Chaos geritten, und Bobby war zu Tode erschrocken.
    »Sind Sie okay?« fragte Frank.
    Bobby nickte.
    Hier ging es um mehr als um Furcht. Bobby fühlte sich von diesem Chaos abgestoßen, und zwar auf einer Ebene, tiefer als der Intellekt oder sogar der Instinkt, vielleicht so tief wie die Seele selbst. Bis zum heutigen Tag war ihm nicht klar gewesen, wie stark und tiefsitzend sein Bedürfnis nach Stabilität und Ordnung war. Er hatte sich immer für einen Freigeist gehalten, der angesichts von Veränderungen und dem völlig Unerwarteten aufblühte. Aber jetzt sah er, daß er da seine Grenzen hatte und sich unter dem leichtsinnigen Verhalten, das er manchmal an den Tag legte, in Wirklichkeit ein Herz verbarg, das einem Traditionalisten gehörte, der die Beständigkeit liebte.
    Plötzlich verstand er, daß seine Leidenschaft für Swingmusik Wurzeln hatte, derer er sich nie bewußt gewesen war: die eleganten und komplexen Rhythmen und Melodien des Big-Band-Jazz paßten sowohl zu dem Bebop-Anstrich, den er sich so gern gab, wie zu dem Bobby, der in seinem Herzen schlummerte und heimlich Ordnung suchte. Kein Wunder, daß er eine Vorliebe für Disney-Cartoons hatte. Da mochte Donald Duck zwar durchdrehen, und da mochten sich Mickey und Pluto ineinander verheddern, doch am Ende triumphierte bei ihnen immer die Ordnung. Die von Warner Brothers dagegen waren so überhaupt nicht sein Fall, denn in ihnen gewannen Vernunft und Logik nur selteneinmal die Überhand -und wenn, dann nur für kurze Zeit.
    »Tut mir leid, Frank«, sagte er. »Geben Sie mir eine Sekunde. Dies ist gewiß nicht der passende Ort, aber ich habe eine Epiphanie - mir ist eine Erleuchtung gekommen.«
    »Hören Sie, Bobby, bitte. Ich sage die Wahrheit. Offenbar kann ich mich an alles erinnern, sobald ich unterwegs bin. Die bloße Tatsache des Unterwegsseins scheint die Wände niederzureißen, die mein Erinnerungsvermögen blockieren. Aber sobald ich wieder an einem festen Platz bin, richtet sich die Wand erneut auf. Das muß ein Teil des Degenerationsprozesses sein, dem ich mich zu unterziehen scheine, schätze ich. Möglicherweise ist es aber auch nur das verzweifelte Verlangen zu vergessen, was in der

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