Ort des Grauens
Raubzug, geschwind und neugierig, erschien diese Katze ziemlich gewöhnlich und hatte offenbar nur das Mysteriöse und die Arroganz, die jedem Tier dieser Spezies zu eigen ist.
Am Ende des Weges führten drei Stufen hinauf zu einem offenen Bogen, durch den sie auf eine kleine Veranda gelangten.
Julie läutete. Das Klingeln war leise und melodisch, und als nach einer halben Minuten niemand reagiert hatte, läutete sie noch einmal.
Nachdem das zweite Klingeln verstummt war, wurde die Stille durch ein Flügelrascheln zerrissen. Irgendein Nachtvogel hatte sich auf dem Dach der Veranda niedergelassen.
Julie wollte eben zum drittenmal läuten, als die Beleuchtung auf der Veranda anging, und Bobby spürte, daß sie durch den Spion in der Eingangstür beobachtet wurden. Nach einem Moment öffnete sich die Tür, und Dr. Fogarty stand vor ihnen.
Er sah genauso aus, wie Bobby ihn in Erinnerung hatte, und auch er erkannte Bobby. »Kommen Sie herein«, sagte er und trat beiseite, um sie eintreten zu lassen. »Ich habe Sie fast erwartet. Kommen Sie herein - was allerdings nicht bedeutet, daß irgend jemand von Ihnen willkommen ist.«
»In die Bibliothek«, sagte Fogarty und führte sie durch die Halle in einen Raum auf der linken Seite.
Die Bibliothek, in die Frank ihn mitgenommen hatte, als sie zusammen unterwegs gewesen waren, war der Raum, den Bobby als Arbeitszimmer bezeichnet hatte, als er esJulie beschrieb. So wie das Äußere des Hauses trotz des spanischen Einflusses etwas ungeheuer Gemütliches hatte, schien dieses Zimmer genau der Raum zu sein, von dem man sich vorstellen konnte, daß sich Tolkien in vielen langen Oxfort-Nächten hingesetzt haben könnte, um die Abenteuer von Frodo aufzuschreiben. Eine Messing-Stehlampe und eine Tischlampe aus Buntglas, die entweder eine echte Tiffany oder eine hervorragende Imitation war, hüllten diesen warmen Platz in ein sanftes Licht. Die Bücherregale reichten bis an die Kassettendecke, und ein chinesischer Teppich – an den Kanten dunkelgrün und beigefarben, in der Mitte größtenteils hellgrün -zierte einen dunklen Eichenboden. Die wasserklare Politur verlieh dem großen Mahagonischreibtisch einen tiefen Glanz. Auf der grünen Filzauflage lagen die Bestandteile einer vergoldeten Schreibtischgarnitur mit beinernen Handgriffen -zu ihr gehörten ein Brieföffner, eine Lupe und eine Papierschere ordentlich hinter einem goldenen Füllfederhalter in einem Marmorständer aufgereiht. Das Queen-Anne-Sofa war mit einem Stoff bezogen, der perfekt zu dem Teppich paßte, und als Bobby sich umdrehte, um zu dem Ohrensessel hinüberzusehen, in dem er Fogarty bei seinem ersten »Besuch« gesehen hatte, fuhr er überrascht zusammen, denn dort saß Frank.
»Irgendwas ist mit ihm passiert«, sagte Fogarty und deutete auf Frank. Er merkte gar nicht, wie erstaunt Bobby und Julie waren. Offenbar ging er davon aus, sie hätten nur seinetwegen sein Haus aufgesucht und gewußt, daß sie ihn hier finden würden.
Franks körperliche Verfassung hatte sich noch weiter verschlechtert, seit Bobby ihn um 17.26 Uhr im Büro in Newport Beach zum letztenmal gesehen hatte. Wenn seine Augen zu diesem Zeitpunkt eingesunken waren, lagen sie jetzt ganz tief in den Höhlen. Die dunklen Ringe um sie herum hatten sich ausgeweitet. Es sah aus, als sei die Schwärze aus diesen Quetschungen herausgesaugt worden und habe sich wie die graue Farbe des Todes über sein ganzes Gesicht ausgebreitet. Im Vergleich dazu hatte seine vorherige Blässe fast gesund gewirkt. Das schlimmste an ihm war jedoch der leere Gesichtsausdruck, mit dem er sie betrachtete. In seinen Augen lag nicht die Spur eines Erkennens, er schien durch sie hindurchzustarren. Seine Gesichtsmuskeln waren ganz schlaff. Sein Mund stand offen, als ob er vor langer Zeit hätte anfangen wollen zu sprechen, sich aber dann nicht erinnern hatte können, was er eigentlich sagen wollte. Im Cielo-Vista-Pflegeheim hatte Bobby nur einige wenige Patienten mit so leeren Gesichtern gesehen, und die hatten zu den geistig am schwersten Behinderten gehört -auf der Leiter etliche Schritte unter Thomas.
»Wie lange ist er schon da?« fragte Bobby und ging auf Frank zu.
Julie packte ihn am Arm und hielt ihn zurück. »Nein!«
»Er kam kurz vor sieben hier an«, erwiderte Fogarty.
Also war Frank noch fast anderthalb Stunden unterwegs gewesen, nachdem er Bobby ins Büro zurückgebracht hatte. »Er ist seit mehr als drei Stunden hier«, beklagte sich Fogarty, »und ich
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