Ort des Grauens
genießen, die so wunderschön auf dem terrassenförmigen Hügel gelegen waren. Nachts war der Blick spektakulär -ein Meer von Lichtern, das zu einem echten Meer führte, das in Dunkelheit gehüllt war. Und es konnte keinen Zweifel geben, daß die Nachbarschaft nur deshalb so ländlich geblieben war, weil es wegen der unmittelbaren Nähe des Landschaftsschutzgebiets so strenge Bauauflagen gab, daß dort noch keine teuren, neuen Häuser aus dem Boden geschossen waren.
Bobby erkannte das Haus der Pollards sofort. Im Licht der Scheinwerfer konnte man nicht viel mehr erkennen als die Kirschmyrtenhecke und die verrostete Eisenpforte zwischen den beiden hohen Steinpfeilern. Er fuhr langsamer, als sie es erreicht hatte. Das Erdgeschoß war dunkel. In einem der Räume des ersten Stocks brannte ein Licht, ein schwaches Glühen war an den Rändern der zugezogenen Vorhänge zu sehen.
Julie beugte sich hinunter, um an Bobby vorbeischauen zu können.
»Ich kann nicht viel sehen«, sagte sie.
»Da gibt's auch nicht viel zu sehen. Es ist ein zerbröckelnder Haufen Dreck.«
Sie fuhren noch etwa vierhundert Meter weiter. Bis zum Ende der Straße. Dort wendete er und fuhr zurück. Als sie den Berg hinunterrollten, lag das Haus auf Julies Seite, und sie bestand darauf, daß er ganz langsam an ihm vorbeifuhr, damit sie mehr Zeit hatte, es sich anzuschauen.
Als sie an dem Tor vorbeischlichen, sah Bobby ein Licht an der Rückseite des Hauses, ebenfalls im ersten Stock. Er konnte allerdings kein beleuchtetes Fenster erkennen, nur ein Glühen in dem Fenster, das ein blasses, frostiges Rechteck auf den Boden malte.
»Es ist alles in Schatten getaucht«, meinte Julie schließlich und drehte sich noch einmal zu dem Grundstück um, das sie hinter sich ließen. »Aber ich kann genug sehen, um zu wissen, daß es ein Ort des Grauens ist.«
»Ganz ganz grauenhaft«, sagte Bobby.
Violet lag in ihrem dunklen Zimmer auf dem Rücken in ihrem Bett. Mit ihrer Schwester. Gewärmt wurden sie von den Katzen, die es sich auf und neben ihnen bequem gemacht hatten. Verbina lag auf der rechten Seite und schmiegte sich an Violet. Eine Hand hatte sie auf Violets Brust, ihre Lippen auf Violets nackter Schulter, ihr warmer Atem strich zart über Violets weiche Haut.
Sie hatten sich nicht zum Schlafen hingelegt. Keine von ihnen mochte nachts schlafen, denn das war die Zeit der Ausschweifungen, die Zeit, in der eine größere Anzahl und Vielfalt von Jägern aus der Natur auf Raub aus war, und damit die Zeit zu der das Leben besonders aufregend war.
Gerade im Augenblick waren sie nicht nur ineinander und in all den Katzen, die das Bett, mit ihnen teilten, sondern auch in einer hungrigen Eule, die durch die Nacht flog und forschend den Boden nach Mäusen absuchte, die nicht so klug waren, die Finsternis zu fürchten und sich aus ihren Erdlöchern herauswagten. Keine andere Kreatur konnte nachts so scharf sehen wie eine Eule, und ihre Klauen und ihr Schnabel waren sogar noch schärfer.
Violet zitterte vor Vorfreude auf den Moment, in dem sich eine Maus oder ein anderes Kleintier unten sehen ließ und durch das hohe Gras huschte, das es für ein gutes Versteck hielt. Von früheren Erfahrungen kannte sie die Angst und den Schmerz des Opfers, die wilde Ausgelassenheit des Jägers, und jetzt sehnte sie sich danach, beides wieder zu erleben - simultan.
Verbina murmelte träumerisch vor sich hin.
Die Eule schoß hoch hinaus, glitt seitwärts, ließ sich in Spiralen etwas sinken, schoß wieder hinauf, hatte ihr Abendessen immer noch nicht entdeckt, als ein Auto den Hügel hinauffuhr und vor dem Haus der Pollards so langsam wurde, daß es fast stehenblieb. Natürlich erregte es Violets Aufmerksamkeit, und durch sie auch die der Eule, doch sie verlor das Interesse, nachdem der Wagen beschleunigt hatte und weiterfuhr. Sekunden später flackerte ihr Interesse allerdings erneut auf, als er zurückkehrte und vor dem Eingangstor noch einmal fast stehenblieb.
Sie dirigierte die Eule so, daß sie etwa zwanzig Meter über dem Auto Kreise zog. Dann schickte sie sie vor das Auto und ließ sie sogar noch tiefer fliegen, etwa sechs Meter über dem Boden, bevor sie sie anleitete, auf den Wagen zuzufliegen, so daß sie den neugierigen Autofahrer von vorn sehen konnte.
Aus einer Höhe von nur sechs Metern war die Sicht der Eule mehr als präzise, auf jeden Fall gut genug, um den Fahrer und den Beifahrer sehen zu können. Da war eine Frau, die Violet noch nie gesehen hatte
Weitere Kostenlose Bücher