Ort des Grauens
habe keine Ahnung, was, zum Teufel, ich mit ihm anfangen soll. Hin und wieder berappelt er sich mal ein wenig, sieht einen an, wenn man mit ihm redet, reagiert sogar mehr oder weniger auf das, was man sagt. Dann ist er plötzlich ziemlich redselig, quatscht und quatscht, beantwortet zwar keine Fragen, will aber ganz gewiß auf jemanden einreden. Dann könnte man ihn nicht mal mit einem Holzhammer zum Schweigen bringen. Er hat mir beispielsweise eine Menge über Sie erzählt, mehr als ich jemals hatte wissen wollen.« Er runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Sie beide mögen vielleicht so verrückt sein, sich auf diesen Alptraum einzulassen, aber ich bin's nicht, und ich weigere mich auch, mich da reinzie hen zu lassen.«
Auf den ersten Blick konnte man Dr. Lawrence Fogarty für einen netten Großvater halten, der zu seiner Zeit ein hingebungsvoller und selbstloser Arzt gewesen war, der von der ganzen Gemeinde verehrt wurde, den alle kannten und mochten. Er trug immer noch die Slipper, die graue Hose, das weiße Hemd und die blaue Strickjacke, in denen Bobby ihn vorher schon gesehen hatte. Dieses Bild wurde von einer Lesebrille mit halben Gläsern vervollkommnet, über deren Ränder er sie jetzt anschaute. Mit seinem dichten weißen Haar, den blauen Augen und dem freundlichen runden Gesicht hätte er den perfekten Weihnachtsmann abgegeben, wäre er fünfzig, sechzig Pfund schwerer gewesen.
Doch auf den zweiten Blick, wenn man etwas genauer hinsah, waren die blauen Augen stahlhart, nicht warm. Seine gerundeten Gesichtszüge waren zu weich und enthüllten weniger Vornehmheit denn einen Mangel an Charakter, so als habe er sie sich durch eine Leben voller Zügellosigkeit angeeignet. Sein breiter Mund hätte dem alten Doc Fogarty zu einem gewinnenden Lächeln verhelfen können, doch seine Dimensionen waren ebenso dazu angetan, dem wirklichen Dr. Fogarty das Aussehen eines raubgierigen Menschen zu geben.
»Also hat Frank Ihnen von uns erzählt«, sagte Bobby.
»Aber wir wissen überhaupt nichts über Sie, und ich glaube das sollten wir.«
Fogarty blickte finster drein. »Es ist besser, wenn Sie nichts von mir wissen. Für mich wäre das weit besser. Schaffen Sie ihn bloß hier raus, bringen Sie ihn weg.«
»Sie wollten, daß wir Ihnen Frank vom Hals schaffen«, entgegnete Julie kühl, »dann müssen Sie uns aber erst erzählen, wer Sie sind, was Sie mit der ganzen Sache zu tun haben und darüber wissen.«
Der alte Mann schaute erst Julie in die Augen, dann Bobby. »Er ist seit fünf Jahren nicht hiergewesen«, erklärte er schließlich, »und als er heut mit Ihnen auftauchte, Dakota, war ich schockiert. Ich hatte gehofft, ich würde nie mehr von ihm hören. Und als er heute nacht zurückkehrte ...«
Franks Augen waren immer noch blicklos, aber er hatte den Kopf zur Seite gelegt. Sein Mund stand offen wie die Tür eines Zimmers, das sein Bewohner fluchtartig verlassen hatte.
Fogarty warf Frank einen verdrossenen Blick zu und sagte: »So habe ich ihn allerdings noch nie gesehen. Ich würde ihn noch nicht mal dann hier haben wollen, wenn er so wäre wie früher, geschweige denn jetzt, wo er nur noch dahinzuvegetieren scheint. Nun gut, nun gut, lassen Sie uns reden. Aber sobald wir das getan haben, übernehmen Sie die Verantwortung für ihn.«
Fogarty ging um den Mahagonischreibtisch herum und setzte sich in den Polsterstuhl, der mit demselben kastanienbraunen Leder bezogen war wie der Ohrensessel, in dem Frank hockte.
Obwohl ihr Gastgeber ihnen keinen Platz angeboten hatte, ging Bobby zu dem Sofa.
Julie folgte ihm, schlüpfte im letzen Moment an ihm vorbei und setzte sich auf die Seite, die Franks Sessel am nächsten war.
Sie warf Bobby einen Blick zu, der sagen sollte: Du bist mir zu impulsiv. Sollte er stöhne, seufzen oder sabbern, würdest du ihn anfassen, um ihn zu trösten. Und dann wärest du in Sekundenbruchteilen wieder mit ihm unterwegs - ob nun nach Hoboken oder in die Hölle -, also halte lieber Abstand.
Fogarty nahm seine Schildplattlesebrille ab und legte sie auf die Schreibtischunterlage, kniff die Augen zusammen und massierte mit Daumen und Zeigefinger seinen Nasenrücken, als wolle er ein aufkommendes Kopfweh mit reiner Willenskraft bekämpfen oder müsse seine Gedanken ordnen - oder auch beides.
Dann öffnete er die Augen, schaute sie blinzelnd über den Tisch hinweg an und sagte: »Ich bin der Arzt, der Roselle Pollard zur Welt brachte, als sie vor sechsundvierzig Jahren, im Februar
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