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Ort des Grauens

Ort des Grauens

Titel: Ort des Grauens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Leuchtstoffröhren hinter dem Bett waren ausgeschaltet. Die Schatten jenseits der Leselampe waren allerdings zu flach, als daß ein Mann sich in ihnen hätte verbergen können. Die Laken waren nicht beiseite geschlagen, sondern säuberlich über die Matratze drapiert, und beide Seitengitter waren eingehakt - es sah so aus, als habe Frank Pollard sich aufgelöst wie eine Figur aus Trockeneis.
    Hal war ganz sicher, daß er es gehört hätte, wenn Pollard eines der Gitter hinuntergeschoben hätte, um aus dem Bett zu steigen, und es dann wieder hochgeschoben und befestigt hätte. Sicher hätte er es auch gehört, wenn Pollard darüber geklettert wäre.
    Die Fenster waren geschlossen. Regen lief an den Scheiben hinunter. Die Tropfen reflektierten schimmernd das Licht des Raumes. Sie waren im sechsten Stock. Pollard hatte also nicht durch das Fenster entkommen können. Hal überprüfte es aber trotzdem und stellte fest, daß es nicht nur geschlossen, sondern verriegelt war.
    Er ging zur Tür des zum Zimmer gehörenden Badezimmers und sagte: »Frank?« Als er keine Antwort erhielt, ging er hinein. Das Bad war leer.
    Blieb nur noch der schmale Wandschrank als mögliches Versteck. Hal öffnete ihn und fand zwei Kleiderbügel, auf denen die Sachen hingen, die Pollard getragen hatte, als er ins Krankenhaus gekommen war. Die Schuhe des Mannes waren ebenso da wie die ordentlich aufgerollten Strümpfe.
    »Er kann nicht an mir vorbei und in den Flur gegangen sein«, sagte Hal, als würde sich diese Behauptung auf magische Weise bewahrheiten, wenn man sie nur laut aussprach.
    Er zog die schwere Tür auf und hastete in den Korridor hinaus. Weder links noch rechts war jemand zu sehen.
    Er wandte sich nach links, eilte zum Notausgang am Ende des Flurs und öffnete die Tür. Er ging zum Treppenabsatz hinaus und lauschte. Keine Schritte, die hinauf- oder hinuntergingen. Er spähte über das Eisengeländer hinunter in den Schacht, blickte dann hinauf. Er war allein.
    Er kehrte um, ging wieder zu Pollards Zimmer zurück, schaute hinein, sah das leere Bett. Immer noch ungläubig strebte er auf die Stelle zu, wo der Korridor sich gabelte. Dort wandte er sich nach rechts und ging zur Schwesternstation mit ihren Glaswänden.
    Keine der fünf Schwestern der Nachtschicht hatte Pollard weggehen sehen. Da die Fahrstühle direkt gegenüber der Schwesternstation lagen, hätte er dort - im Blickfeld des Aufsichtspersonals - warten müssen, so daß es sehr unwahrscheinlich schien, daß er das Krankenhaus auf diesem Weg verlassen hatte.
    »Ich dachte, Sie seien hier, um auf ihn aufzupassen«, sagte Grace Fulgham, die grauhaarige Oberschwester der Nachtschicht im sechsten Stock. Ihrem breiten Gesicht mit der unbeugsamen Miene sah man an, daß sie kein leichtes Leben gehabt hatte. Es war aber dennoch freundlich und würde sie zu einer perfekten Hauptdarstellerin machen, sollten die al ten Schleppkahn-Annie oder Ma-and-Pa-Kettle-Filme jemals wieder neu gedreht werden. »War das nicht Ihr Job?« »Ich habe das Zimmer keine Sekunde verlassen, aber ...«
    »Wie sollte er da an Ihnen vorbeigelangt sein?«
    »Ich weiß nicht«, entgegnete Hal verdrossen. »Das wichtigste ist aber ... Er leidet an partieller Amnesie, ist irgendwie verwirrt. Er könnte sonstwohin gegangen sein, raus aus dem Krankenhaus, Gott-weiß-wohin. Ich kann mir nicht vorstellen, wie er an mir vorbeigekommen ist, aber wir müssen ihn finden.«
    Mrs. Fulgham und eine jüngere Schwester namens Janet Soto begannen, die Zimmer an Pollards Korridor rasch und leise zu inspizieren.
    Hal begleitete Schwester Fulgham. Als sie Zimmer 604 untersuchten, in dem zwei ältere Männer schnarchten, hörte er eine schauerliche Musik, die allerdings kaum vernehmbar war.
    Falls Schwester Fulgham die Musik gehört hatte, sagte sie das jedenfalls nicht. Einen Moment später, in Zimmer 606, als die gleichen Töne wieder erklangen, unmerklich lauter als beim erstenmal, flüsterte sie jedoch: »Was ist das?«
    Für Hal hörte es sich an wie eine Flöte. Der unsichtbare Flötist spielte zwar keine erkennbare Melodie, aber die Noten prägten sich dennoch ein.
    Als sie den Korridor wieder betraten, hörte die Musik auf, und sie spürten einen Luftzug.
    »Irgend jemand hat ein Fenster aufgelassen - oder vielleicht die Tür zum Treppenhaus«, sagte die Schwester anzüglich.
    »Ich nicht«, versicherte Hal.
    Janet Soto trat aus dem Zimmer auf der anderen Seite des Korridors, gerade als der Luftstrom endete. Sie schaute

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