Ort des Grauens
Klafter um Klafter von Feuerholz erst gespalten und dann hereingeschleppt, weil Pa Kettle dazu zu faul gewesen war. »Der Sicherheitsdienst hat an jeden Ausgang je einen Mann gestellt, der ihn aufhalten wird, falls er versucht wegzugehen, und wir sind gerade dabei, die Schwestern in den anderen Stockwerken zu mobilisieren. Sie werden dort nach ihm suchen. Wollen Sie sich an der Suche beteiligen?«
»Oh, nun, ich muß erst im Büro anrufen, mein Boß ...«
»Wo finden wir Sie, falls wir ihn erwischen?«
»Hier. Ja, hier. Ich werde hierbleiben, ein paar Anrufe erledigen.«
Sie nickte, ging und schloß die Tür hinter sich.
An einer Deckenschiene, die um drei Seiten des Bettes einen Bogen beschrieb, hing ein Vorhang. Er war an der Wand festgebunden. Hal Yamataka löste die Bänder und zog ihn bis zum Fußende, um damit von der Tür aus die Sicht auf das Bett zu versperren. Denn es war ja möglich, daß sich Pollard just in dem Moment materialisierte, in dem jemand vom Korridor hereintrat.
Seine Hände zitterten. Er steckte sie in die Hosentaschen, zog dann aber die linke wieder heraus, um auf die Uhr zu sehen: 1.48 Uhr.
Pollard wurde seit etwa achtzehn Minuten vermißt - abgesehen natürlich von den paar Sekunden, in denen er in die Existenz zurückgeflackert war und über »Glühwürmchen in einem Wirbelsturm« gesprochen hatte. Hal beschloß, bis zwei Uhr zu warten. Erst dann wollte er Bobby und Julie anrufen.
Er stand am Fußende des Bettes, umklammerte mit einer Hand das Gitter und lauschte dem Nachtwind, der vor dem Fenster heulte, und dem Regen, der gegen die Scheiben knallte. Die Minuten krochen dahin wie Schnecken, an einer Steigung, doch die Warterei gab ihm zumindest ein wenig Zeit, sich zu beruhigen und darüber nachzudenken, wie er Bobby erklären könnte, was vorgefallen war.
Als sich der Minutenzeiger seiner Uhr der Zwölf näherte, ging er um das Bett herum. Er griff gerade nach dem Telefon auf dem Nachtschrank, als er das gespenstische Wehklagen einer entfernten Flöte hörte. Der halbzugezogene Bettvorhang wogte und flatterte leicht in einem plötzlichen Windstoß.
Er kehrte zum Fußende des Bettes zurück und schaute am Vorhang vorbei zur Korridortür. Sie war geschlossen. Von dort konnte die Zugluft nicht herangeweht sein.
Die Flöte verklang. Die Luft beruhigte sich und war jetzt ganz bleiern.
Da die Tür geschlossen und das Fenster fest verriegelt war, konnte die Zugluft nur aus dem Entlüftungsgrill in der Wand über dem Nachtschrank kommen. Doch als Hal sich auf die Zehenspitzen stellte und seine rechte Hand vor dieÖffnung hielt, war da nicht das geringste Lüftchen. Der kühle Luftstrom schien seinen Ursprung im Zimmer selbst zu haben.
Er drehte sich im Kreis, bewegte sich hierhin und dorthin und versuchte festzustellen, wo die Flöte war. Als er genau lauschte, hörte es sich eigentlich gar nicht mehr wie eine Flöte an. Es war mehr wie ein sich ständig drehender Wind, der gleichzeitig durch große und kleine Röhren pfiff und auf diese Weise viele vage, aber einzeln erkennbare, lose miteinander verwobene Klagelaute verknüpfte, die gleichzeitig gespenstisch und melancholisch, trauernd und auch irgendwie -bedrohlich klangen. Die Musik verebbte und kehrte dannzum drittenmal zurück. Zu seiner Überraschung und seinem maßlosen Erstaunen schienen die Laute irgendwo aus der Luft über dem Bett zu kommen.
Er fragte sich, ob diesmal wohl irgend jemand sonst im Krankenhaus die Flöte hörte. Vermutlich nicht. Obwohl die Musik jetzt lauter war als am Anfang, blieb sie undeutlich.
Vor Hals Augen begann die Luft über dem Bett zu schimmern. Einige Sekunden lang konnte er nicht atmen. Es war, als sei der Raum zeitweise zur Unterdruckkammer geworden. Er hörte einen Knall in seinen Ohren, ein Floppen, wie man es im Flugzeug während eines zu abrupten Höhenwechsels spürt.
Das eigenartige Tirilieren und der Luftstrom stoppten gleichzeitig, und Frank Pollard erschien so unvermittelt, wie er verschwunden war. Er lag auf der Seite und hatte die Knie angezogen wie ein Embryo. Für ein paar Augenblicke war er völlig desorientiert. Als ihm klar wurde, wo er war, umklammerte er das Gitter und zog sich daran hoch. Er saß. Die Haut um seine Augen war aufgedunsen und dunkel, sonst aber war er entsetzlich blaß. Sein Gesicht schimmerte fettig, als sei der Schweiß, der ihm da in Strömen herunterlief, das reinste Öl. Sein blauer Baumwollpyjama war verknittert, voller dunkler Schweißflecken und
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