Ort des Grauens
hohen Terassenfenstern, aus denen warmes, bernsteinfarbenes Licht strömte. Als er dort ankam, hatte die Autoheizung seine durchnäßte Kleidung so gut wie getrocknet.
Feiina war in der Küche, als Clint durch die Verbindungstür zur Garage eintrat. Sie umarmte ihn, küßte ihn und hielt ihn einen Augenblick lang ganz fest, als sei sie überrascht, ihn lebend wiederzusehen.
Sie glaubte, sein Job sei voller Gefahren, glaubte, er setze jeden Tag sein Leben aufs Spiel, obwohl er in erster Linie langweilige Kleinarbeit und die Laufereien erledige. Er jagte Fakten nach statt Bösewichtern, verfolgte eher Spuren aus Papier denn aus Blut.
Er verstand jedoch die Sorge seiner Frau, weil auch er sich ständig um sie sorgte. Zum einen war sie eine attraktive Schwarzhaarige mit olivfarbenem Teint und aufsehenerregenden grauen Augen. Im Zeitalter der nachsichtigen Richter, zu einer Zeit, da sich auf den Straßen ein Übermaß erbarmungsloser Psychopathen tummelte, wurde eine gutaussehende Frau als leichte Beute angesehen. Und zum anderen sorgte sich Clint wegen der Gefahren, die ihr an den verkehrsreichen Kreuzungen drohten, obwohl die Firma, in der sie als Datatypistin arbeitete, nur drei Blocks entfernt war ein Weg, der selbst bei schlechtem Wetter gut zu bewältigen war. Denn im Notfall würde weder ein Warnschrei noch lautes Hupen sie auf den heranrasenden Tod hinweisen könne.
Er durfte sie nicht wissen lassen, wie sehr er sich sorgte, war sie doch zurecht stolz darauf, trotz ihrer Taubheit so unabhängig zu sein. Er wollte ihre Selbstachtung nicht dadurch schmälern, daß er sie darauf hinwies, Zweifel zu haben, ob sie mit jeder faulen Tomate selber fertig werden könne, die das Schicksal ihr in den Weg warf. Also rief er sich jeden Tag, den Gott werden ließ, aufs neue ins Gedächtnis, daß sie 29 Jahre gelebt hatte, ohne daß ihr ernsthaft etwas zugestoßen war.
Während sich Clint in der Spüle die Hände wusch, deckte Feiina den Küchentisch für ein spätes Abendessen. Ein riesiger Topf mit Gemüsesuppe stand auf dem Herd, und sie füllten gemeinsam zwei große Teller. Er holte einen Parmesankäsestreuer aus dem Kühlschrank, und sie packte einen Laib italienischen Brotes mit krosser Kruste aus.
Er war hungrig, und die Suppe war ausgezeichnet -viel frisches Gemüse und große Stücke mageres Rindfleisch -, doch zu dem Zeitpunkt, da Feiina den ersten Teller geleert hatte, war Clint noch nicht mal mit der Hälfte fertig, weil er wiederholt Pausen eingelegt hatte, um ihr von den Ereignissen des Tages zu erzählen. Sie konnte nicht so gut von seinen Lippen lesen, wenn er versuchte, gleichzeitig zu reden und zu essen, und im Augenblick war sein Hunger geringer als sein Bedürfnis, mit ihr zu sprechen. Sie füllte ihren Teller neu und füllte seinen auf.
Außerhalb der Mauern seines eigenen kleinen Hauses war er kaum gesprächiger als ein Stein, doch in Feiinas Gesellschaft war er so redselig wie ein Talkshow-Master. Er plapperte zwar nicht einfach daher, sondern ging mit erstaunlicher Leichtigkeit in seiner Rolle als geschliffener Erzähler auf. Er hatte es gelernt, eine Anekdote so wiederzugeben, daß Feiina Spaß daran hatte, denn er liebte es, ihr ein Lachen zu entlocken oder zu beobachten, wie sie verblüfft die Augen aufriß. Sie war der erste Mensch in seinem Leben, dessen Meinung ihm wirklich wichtig war, und er wollte, daß sie ihn für klug, clever und witzig hielt.
Am Anfang ihrer Beziehung hatte er sich gefragt, ob ihre Taubheit irgend etwas mit seiner Fähigkeit zu tun habe, sich ihr öffnen zu können. Sie war von Geburt an taub, hatte niemals in ihrem Leben ein gesprochenes Wort gehört und deshalb auch nicht Sprechen gelernt.
Sie reagierte auf Clints Erzählung und berichtete auch später von ihrem eigenen Tag - mit Zeichensprache. Er hatte sie ebenfalls gelernt, um die »Sprache« ihrer flinken Finger verstehen zu können. Anfänglich hatte er sogar geglaubt, die Intimität, die sie beide verband, sei ihm nur wegen ihres Gebrechens möglich.
Im Lauf der Zeit war ihm jedoch klar geworden, daß er sich ihr trotz ihrer Taubheit geöffnet hatte, und nicht wegen ihr, und daß er jeden seiner Gedanken, jede seiner Erfahrungen -das galt natürlich auch für ihre -nur deshalb mit ihr teilen wollte, weil er sie liebte.
Als er Feiina erzählte wie Bobby und Julie sich während des Termins mit Frank Pollard zu drei Privatgesprächen in den Waschraum zurückgezogen hatten, lachte sie schallend.
Er liebte
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