Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ort des Grauens

Ort des Grauens

Titel: Ort des Grauens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
Vom Netzwerk:
geschlossene Tür von Zimmer 603, um zu verhindern, daß jemand vom Krankenhauspersonal das Zimmer betrat. Er saß verkrampft und angespannt da. Julie setzte sich ans Fußende des Bettes, und Bobby bezog am Fenster Posten, auf der Seite des Bettes, an dem das Gitter unversehrt war.
    Sie warteten.
    Julie saß so, daß sie den Kopf nur leicht zu drehen brauchte, um Hal zu sehen. Schaute sie in die andere Richtung, sah sie Bobby. Die beiden allerdings konnten sich wegen des Vorhangs nicht sehen, der vorgezogen worden war, um das abgerissene Gitter zu verbergen.
    Sie fragte sich, ob Hal wohl verwundert gewesen wäre, hätte er sehen können, wie schnell Bobby einschlief. Hal war immer noch ganz aufgewühlt von den Ereignissen, und Julie, die von Franks unheimlichem Verschwinden nur aus zweiter Hand erfahren hatte, erwartete die Chance, diesen magischen Vorgang selbst zu erleben, gleichermaßen ungeduldig und nervös.
    Bobby war ein Mann mit einer verhältnismäßig regen Phantasie und einer geradezu kindlichen Wundergläubigkeit, deshalb sollten ihn die Ereignisse eigentlich noch mehr erregen als Hal oder sie. Außerdem war da seine böse Vorahnung, daß es Ärger geben würde, daß dieser Fallvoller böser Überraschungen stecken könne, so daß ihn diese Vorgänge eigentlich nicht hätten kalt lassen dürfen und trotzdem konnte er, gegen die schlecht gepolsterte Armlehne des Stuhls gelehnt, schlafen. Sein Kinn stauchte sich unbequem auf seiner Brust, dennoch schlief er fest und ruhig. Er gehörte nicht zu denen, denen Streß etwas anhaben konnte.
    Manchmal erschien ihr sein Sinn für Proportionen, seine Fähigkeit, sich alles so zurechtzubiegen, daß er damit fertigwerden konnte, geradezu übermenschlich. Als Bobby McFerrins Song »Don't Worry, Be Happy« vor ein paar Jah ren ein Hit gewesen war, hatte es sie nicht überrascht, daß ihr eigener Bobby von ihm angetan war. Das Lied war ja im Grunde seine persönliche Hymne. Offenbar gelang es ihm mit purer Willenskraft, sich Seelenfrieden zu verschaffen, und sie bewunderte das.
    Gegen 4.40 Uhr -Bobby hatte gut eine Stunde lang zufrieden geschlummert - schlug ihre Bewunderung für seine Gelassenheit in einen ungesunden Neid um. Sie spürte das Verlangen, seinem Stuhl einen Tritt zu versetzen, ihn aus ihm herauszukippen. Sie hielt sich nur deshalb zurück, weil sie vermutete, daß er kurz gähnen, sich auf die Seite rollen und auf dem Boden sogar noch bequemer weiterschlafen würde.
    Dann aber würde ihr Neid so verzehrend sein, daß sie ihn einfach würde umbringen müssen, genau da, wo er lag. Sie stellte sich sich selbst vor Gericht vor: Ich weiß, Euer Ehren, daß ein Mord niemals gerechtfertigt ist. Aber er war einfach zu entspannt um weiterleben zu dürfen.
    Ein ganzer Schwall leiser, fast melancholischer Töne fiel geradezu aus der Luft auf sie nieder. »Die Flöte!« sagte Hal. So unvermittelt wie Popcorn, das aus der heißen Pfanne hochhüpft, sprang er vom Stuhl. Gleichzeitig erschütterte ein kühler Windstoß das Zimmer.
    Julie stand auf und flüsterte: »Bobby!«
    Sie packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn. Und er erwachte gerade in dem Augenblick, als die atonale Musik aufhörte und die Luft wieder so still war wie in einer Gruft. Bobby rieb sich mit den Handflächen die Augen und gähnte. »Was ist los?«
    Er hatte noch nicht ausgesprochen, da schwoll die unvergeßliche Musik wieder an, leise, wenn auch lauter als zuvor. Eigentlich war es gar keine Musik, eigentlich war es nur Lärm. Und Hal hatte recht: Wenn man genau hinhörte, konnte man feststellen, daß es keine Flöte war.
    Sie trat auf das Bett zu.
    Hal hatte seinen Platz an der Tür verlassen. Er legte einen Hand auf ihre Schulter und hielt sie zurück. »Seien Sie  vorsichtig.«
    Frank hatte von einem dreimaligen -möglicherweise viermaligen -Tirilieren der falschen Flöte berichtet und von ebenso vielen Luftbewegungen, bevor Mr. Blaulicht in jener Nacht in Anaheim seine Fährte aufgenommen hatte. Und Hal hatte beobachtet, daß jedem von Franks Wiederauftauchen drei dieser Episoden vorausgegangen waren. Trotzdem konnte man nicht sicher sein, daß diese Begleitphänomene in einem unveränderlichen Muster auftraten. Denn gerade als das zweite Flüßchen unharmonischer Töne versiegt war, das sich aus dem Äther ergossen hatte, schimmerte die Luft unmittelbar über dem Bett auf, als hätte jemand zwei Handvoll heller, mattierter Ziermünzen hochgeworfen und die aufsteigenden Hitzeströme

Weitere Kostenlose Bücher