orwell,_george_-_tage_in_burma
us stand oberhalb des Marktplatzes, dicht am Rande des Dschungels. Von dem Gartentor aus senkte sich der ausgedörrte, khakifarbene Marktplatz steil herab, und um ihn herum stand ein halbes Dutzend blendendweißer Bungalows. Alles zitterte und bebte in der heißen Luft. Auf halbem Wege bergab lag ein von einer weißen Mauer umgebener englischer Friedhof und nahebei eine kleine Kirche mit einem Blechdach. Dahinter war der European Club, und wenn man den Club - einen plumpen, einstöckigen Holzbau - ansah, hatte man das eigentliche Zentrum der Stadt vor sich. In jeder indischen Stadt ist der Europäische Club die geistige Zitadelle, der eigentliche Sitz der britischen Macht, das Nirwana, nach dem die eingeborenen Beamten und Millionäre vergeblich schmachten. Das war hier doppelt der Fall, denn der Club von Kyauktada rühmte sich, daß er, fast als einziger Club in Burma, nie einen Orientalen als Mitglied aufgenommen hatte. Hinter dem Club strömte riesig und ockergelb der Irrawaddy und blitzte an Stellen, auf die die So nne fiel, wie Diamanten; jenseits erstreckte sich die große Einöde von Reisfeldern, die am Horizont von einer Kette schwärzlicher Berge abgeschlossen wurde.
Die Eingeborenenstadt einschließlich der Gerichtsgebäude und des Gefängnisses lag drüben auf der rechten Seite, größtenteils zwischen grünen Hainen von heiligen Bobäumen versteckt. Der Turm der Pagode erhob sich aus den Bäumen wie ein schlanker Speer mit goldener Spitze. Kyauktada war für das obere Burma eine ziemlich typische Stadt, die sich zwischen den Tagen von Marco Polo und 1910 nicht sehr verändert hatte und die im Mittelalter noch ein weiteres Jahrhundert hätte schlafen können, wenn sie sich nicht als passende Stelle für eine Eisenbahnendstation erwiesen hätte. 1910 machte die Regierung sie zum H auptquartier eines Distrikts und zum Sitz des Fortschritts - zu verstehen als ein Block von Gerichtsgebäuden mit ihrer Armee von dicken, aber gierigen Anwälten, einem Krankenhaus, einer Schule und einem dieser riesengroßen, beständigen Gefängnisse, welche die Engländer überall zwischen Gibraltar und Hong Kong gebaut haben. Die Bevölkerung betrug etwa viertausend, darunter ein paar hundert Inder, ein paar Dutzend Chinesen und sieben Europäer. Es gab auch zwei Eurasier, Mr. Francis und Mr. Samuel, die Söhne e ines amerikanischen baptistischen Missionars und einer römisch katholischen Missionarin. Die Stadt enthielt keinerlei Sehenswürdigkeiten außer einem indischen Fakir, der seit zwanzig Jahren in einem Baum in der Nähe des Basars lebte und sich sein Essen jed en Morgen in einem Korb heraufzog.
Flory gähnte, als er aus seinem Tor trat. Er hatte sich gestern abend halb betrunken, und das blendende Licht machte ihn reizbar. »O dieses verdammte Loch!« dachte er, während er den Hügel hinabschaute. Und da außer dem Hund niemand in der Nähe war, begann er laut zu singen: »Scheißig, scheißig, scheißig, scheißig geht es her« zur Melodie von »Heilig, heilig, heilig, heilig ist der Herr«, während er die heiße, rote Straße hinunterging und dabei das ausgedörrte Gras mit seinem Stock peitschte. Es war fast neun Uhr, und die Sonne wurde mit jeder Minute glühender. Die Hitze hämmerte einem auf den Kopf mit stetigen, rhythmischen Stößen wie Schläge mit einem riesigen Polster. Flory blieb vor dem Gartentor des Clubs stehen und wußte nicht recht, ob er hineingehen oder die Straße weitergehen und Dr. Veraswami besuchen sollte. Dann fiel ihm ein, daß heute »englischer Posttag« war und die Zeitungen gekommen sein würden. Er ging hinein, vorbei an dem hohen Drahtgitter des Tennisplatze s, das mit einer Kletterpflanze mit sternförmigen malvenfarbigen Blüten bewachsen war.
Auf den Rabatten neben dem Weg drängten sich englische Blumen - Phlox und Rittersporn, Stockrosen und Petunien - , die die Sonne noch nicht erschlagen hatte, in üppiger Größe und Fülle. Die Petunien waren riesig, fast wie Bäume. Einen Rasen gab es nicht, aber ein Gebüsch von einheimischen Bäumen und Sträuchern - goldgelbe Mohurbäume wie große Sonnenschirme mit blutroten Blüten, Jasminsträucher mit sahnefarbenen, stiellosen Blüten, purpurne Bougainvillea, scharlachroter Hibiskus und die rosafarbene chinesische Rose, gallig grüne Krotons, gefiederte Tamarindenwedel. Der Zusammenstoß der Farben in dem blendenden Licht tat den Augen weh. Ein fast nackter Mali bewegte sich, die Gießkanne in der Hand, in dem Blumendschungel
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