Oryx und Crake
Eindruck, dass es grinst.
Sie haben auf ihn gewartet und den Müllsack als Köder verwendet. Sie müssen in der Lage gewesen sein zu erkennen, dass er etwas enthielt, was er wollte, für das er herunterkommen würde. Gerissen, so gerissen.
Seine Beine zittern, als er das obere Stockwerk wieder erreicht hat.
Vom Ruheraum geht ein kleines Badezimmer ab, mit einer echten Toilette darin. Gerade rechtzeitig: Die Angst hat seine Gedärme püriert.
Er setzt sich hin – Papier ist da, ein kleiner Segen, es braucht keine Blätter – und will gerade spülen, als ihm einfällt, dass der Tank dahinter voll Wasser sein muss und dass er das Wasser noch brauchen könnte. Er hebt den Tankdeckel hoch: Genau, er ist voll, eine Minioase. Das Wasser hat eine rötliche Farbe, aber es riecht nicht schlecht, also steckt er den Kopf hinein und trinkt wie ein Hund. Nach all dem Adrenalin ist er ausgetrocknet.
Jetzt fühlt er sich besser. Kein Grund zur Panik, noch gibt es keinen Grund zur Panik. In der kleinen Küche findet er Streichhölzer und steckt sich die Zigarette an. Nach zwei Zügen fühlt er sich schwindlig, aber es ist trotzdem wunderbar.
»Wenn du neunzig wärst und hättest die Möglichkeit, noch ein letztes Mal zu ficken, aber du wüsstest, dass es dich umbringen wird, würdest du es trotzdem tun?«, hat Crake ihn einmal gefragt.
»Aber sicher«, sagte Jimmy.
»Süchtig«, sagte Crake.
Schneemensch bemerkt, dass er summt, während er die Küchenschränke durchsucht. Schokolade in Quadraten, echte Schokolade. Ein Glas Kaffeepulver, Kaffeeweißer, Zucker.
Krabbenpaste zum Bestreichen von Crackern, Ersatz, aber essbar. Käse in einer Tube, ebenso Mayo. Nudelsuppe mit Gemüse, Hühnchengeschmack. Cracker in einer Plastikbüchse mit Schnappdeckel. Ein Vorrat an Kraftriegeln. Eine Bonanza.
Er wappnet sich, dann öffnet er den Kühlschrank, setzt alles auf die Karte, dass diese Typen wahrscheinlich nicht zu viel echte Lebensmittel da drin aufgehoben haben dürften, so dass der Gestank nicht zu widerlich sein würde. Schlecht gewordenes Fleisch in einem abgetauten Gefrierschrank ist das Schlimmste; das kam ihm oft unter in den ersten Tagen seiner Beutezüge in Plebsland.
Es ist nichts allzu Übelriechendes drin; nur ein verschrumpelter Apfel, eine Orange, die von einem grünen Pelz bedeckt ist. Zwei Flaschen Bier, ungeöffnet – echtes Bier! Die Flaschen sind braun, mit dünnen Retrohälsen.
Er macht ein Bier auf, stürzt die halbe Flasche runter. Warm, aber wen stört das? Dann setzt er sich an den Tisch und isst die Krabbenpaste, die Cracker, den Käse und die Mayonnaise, rundet das Ganze mit einem Löffel voll Kaffeepulver gemischt mit Kaffeeweißer und Zucker ab. Er hebt sich die Nudelsuppe und die Schokolade und die Kraftriegel für später auf.
In einem der Schränke ist ein Sprechfunkgerät zum Aufziehen. Er kann sich daran erinnern, wie die Dinger ausgeteilt wurden für den Fall, dass ein Tornado oder eine Überschwemmung oder irgendwas anderes die elektronischen Geräte ausfallen ließ. Seine Eltern hatten eins, als sie noch seine Eltern waren; er hatte immer heimlich damit gespielt. Es besaß eine Kurbel, die man drehte, um den Akku aufzuladen, dann lief es eine halbe Stunde lang.
Dieses hier sieht unbeschädigt aus, also kurbelt er das Ding an. Er erwartet nicht, irgendwas zu hören, aber Erwartung ist nicht das gleiche wie Verlangen.
Statisches Rauschen, noch mehr Rauschen, noch mehr Rauschen. Er probiert die Mittelwellenfrequenzen aus, dann die UKW-Frequenzen.
Nichts. Nur das eine Geräusch, wie das Geräusch von Sternenlicht, dass sich seinen Weg durchs All kratzt: kkkkkkkk. Dann probiert er es mit der Kurzwelle. Er bewegt den Knopf langsam und vorsichtig. Vielleicht gibt es andere Länder, ferne Länder, wo Leute davongekommen sein könnten – Neuseeland, Madagaskar, Patagonien – solche Orte.
Aber sie können nicht davongekommen sein. Zumindest die meisten nicht. Sobald es angefangen hatte, übertrug sich die Sache durch die Luft. Verlangen und Angst waren weltumspannend, zusammen wurden sie zu Totengräbern.
Kkkkk. Kkkkk. Kkkkk.
Oh, sprecht mit mir, betet er. Sagt doch was. Sagt irgendwas.
Plötzlich kommt eine Antwort. Es ist eine Stimme, eine menschliche Stimme. Leider spricht sie eine Sprache, die wie Russisch klingt.
Schneemensch traut seinen Ohren nicht. Er ist also nicht der Einzige –
irgendjemand anders hat überlebt, jemand von seiner eigenen Spezies.
Jemand, der einen
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